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Selbs Justiz

Selbs Justiz

Titel: Selbs Justiz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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vorgetragen, die reinlich zwischen dem politischen und dem persönlichen Feind unterschied, und alle waren überzeugt und fühlten sich in ihrem Antisemitismus gerechtfertigt. Schon damals hatte mich beschäftigt, ob die anderen die Unsauberkeit ihrer Gefühle nicht aushalten konnten und bemänteln mußten oder ob meine Fähigkeit, zwischen Persönlichem und Sachlichem gefühlsmäßig eine klare Grenze zu ziehen, unterentwickelt war.
    Ich machte mir noch einen Tee. Konnte die Überführung über Frau Buchendorff laufen? Konnte ich Mischkey über Frau Buchendorff dazu bringen, noch einmal und diesmal identifizierbar in das RCW -System einzugreifen? Oder konnte ich mich Gremlichs und seines zweifellos vorhandenen Wunschs, Mischkey eins auszuwischen, bedienen? Mir fiel nichts Überzeugendes ein. Ich würde mich auf mein Talent zur Improvisation verlassen müssen.
    Das weitere Beschatten konnte ich mir sparen. Aber zum ›Kleinen Rosengarten‹, wo ich die Freunde sonntags manchmal zum Mittagessen treffe, nahm ich nicht den gewohnten Weg über Wasserturm und Ring, sondern ging an der Christuskirche vorbei. Mischkeys Citroën war weg, und Frau Buchendorff arbeitete im Garten. Ich wechselte die Straßenseite, um sie nicht begrüßen zu müssen.

19
Grüß Gott im Himmel wie auf Erden
    »Guten Morgen, Frau Buchendorff. Wie war Ihr Wochenende?« Sie saß um halb neun noch vor der Zeitung, hatte die Sportseite aufgeschlagen und las die letzten Nachrichten von unserem jungen Leimener Tenniswunder. Sie hatte die Liste der zirka sechzig Betriebe, die an das Smogalarmsystem angeschlossen waren, in einer grünen Plastikhülle für mich bereitliegen. Ich bat sie, meinen Termin mit Oelmüller und Thomas abzusagen. Ich wollte die beiden erst nach der Lösung des Falls und am liebsten auch dann nicht mehr sehen.
    »Schwärmen Sie auch für unser Tenniswunderkind, Frau Buchendorff?«
    »Was meinen Sie mit ›auch‹? Wie Sie selbst oder wie Millionen anderer deutscher Frauen?«
    »Ich find ihn schon faszinierend.«
    »Spielen Sie?«
    »Sie werden lachen, es fällt mir schwer, Gegner zu finden, die ich nicht gleich vom Platz fege. Allein können mich jüngere Spieler manchmal einfach deswegen besiegen, weil sie die bessere Kondition haben. Aber im Doppel bin ich mit einem ordentlichen Partner fast unschlagbar. Spielen Sie?«
    »Um den Mund mal so voll zu nehmen wie Sie, Herr Selb, so gut, daß die Männer Komplexe kriegen.« Sie stand auf. »Gestatten Sie, daß ich mich vorstelle. Südwestdeutsche Juniorenmeisterin 1968.«
    »Eine Flasche Champagner gegen die Minderwertigkeitskomplexe«, bot ich an.
    »Was heißt denn das?«
    »Das heißt, daß ich Sie nach Strich und Faden besiegen, Ihnen aber zum Trost eine Flasche Champagner mitbringen werde. Allerdings, wie gesagt, lieber im gemischten Doppel. Haben Sie einen Partner?«
    »Ja, ich habe jemand«, sagte sie kampfeslustig. »Wann soll’s denn sein?«
    »Ich würde gerne gleich heute nachmittag um fünf, nach der Arbeit. Dann steht es nicht länger zwischen uns. Aber da ist’s vielleicht schwierig, einen Platz zu bekommen?«
    »Das kriegt mein Freund schon hin. Er kennt anscheinend jemand von der Platzreservierung.«
    »Wo spielen wir?«
    »Auf unserem RCW -Platz. Das ist drüben in Oggersheim, ich kann Ihnen einen Plan mitgeben.«
    Ich machte, daß ich ins Rechenzentrum kam, und ließ mir von Herrn Tausendmilch, »das muß aber bitte unter uns bleiben«, einen Ausdruck des aktuellen Stands der Tennisplatzreservierung geben. »Sind Sie um fünf Uhr noch da?« fragte ich ihn. Er hatte um halb fünf Schluß, war aber jung und erklärte sich bereit, mir Punkt fünf noch einen Ausdruck machen zu lassen. »Ich will Herrn Direktor Firner gerne auf Ihre Einsatzbereitschaft aufmerksam machen.« Er strahlte.
    Als ich zum Haupttor ging, begegnete mir Schmalz. »Hat der Kuchen gemundet?« erkundigte er sich. Ich hoffte, daß der Taxifahrer ihn gegessen hatte. »Sagen Sie Ihrer Frau doch bitte meinen herzlichen Dank. Er hat ganz ausgezeichnet geschmeckt. Wie geht es Ihrem Richard?«
    »Danke. Recht gut.«
    Armer Richard. Nie würde es dir in den Augen deines Vaters sehr gut gehen dürfen.
    Im Auto sah ich mir den Ausdruck der Tennisplatzreservierung an, obwohl mir schon davor klar war, daß ich die Reservierung für Mischkey oder für Buchendorff, nach der ich suchte, nicht fände. Dann saß ich einfach eine Weile im Wagen und rauchte. Eigentlich müßten wir gar nicht Tennis spielen; wenn

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