Selbs Justiz
Mischkey heute nachmittag um fünf da und ein Platz für uns reserviert war, hatte ich ihn. Trotzdem fuhr ich in die Herzogenriedschule, um Babs, die mir noch einen Gefallen schuldete, für das gemischte Doppel in die Pflicht zu nehmen. Es war große Pause, und Babs hatte recht: An allen Ecken schmuste es. Viele Schüler hatten den Walkman um, ob sie nun allein oder in Gruppen herumstanden, spielten oder schmusten. Reichte ihnen nicht, was sie von der Außenwelt mitbekamen, oder war es ihnen so unerträglich?
Ich erwischte Babs im Lehrerzimmer, wo sie mit zwei Referendaren über Bergengruen diskutierte. »Doch, wir sollten ihn wieder in der Schule lesen«, sagte der eine. »Der Großtyrann und das Gericht – wie da das Politische jenseits kurzatmiger Tagesaktualität entfaltet wird, braucht unsere Jugend.« Der andere sekundierte: »Heute ist wieder so viel Furcht in der Welt, und Bergengruens Botschaft heißt: Fürchtet euch nicht!«
Babs war etwas ratlos. »Ist Bergengruen nicht hoffnungslos überholt?«
»Aber Frau Direktor«, kam es unisono, »von Böll und Frisch und Handke will doch heute niemand mehr etwas wissen – wie sollen wir die Jugend denn sonst an das Moderne heranführen?«
»Grüß Gott im Himmel wie auf Erden«, unterbrach ich und nahm Babs beiseite. »Entschuldige bitte, du mußt heute nachmittag mit mir Tennis spielen. Ich brauche dich wirklich dringend.«
Sie umarmte mich, verhalten, wie es sich fürs Lehrerzimmer gehörte. »Ja, ist denn das die Möglichkeit! Hattest du mir nicht für das Frühjahr einen Ausflug nach Dilsberg versprochen? Und läßt dich erst wieder sehen, wenn du was willst. Schön, daß du gekommen bist, aber sauer bin ich schon.«
So sah sie mich auch an, zugleich erfreut und schmollend.
Babs war eine lebendige und großzügige Frau, klein und stämmig, mit flinken Bewegungen. Ich kenne nicht viele Frauen von Fünfzig, die sich so leger kleiden und geben können, ohne den Charme ihres Alters einer aufgesetzten Jugendlichkeit zu opfern. Sie hatte ein flächiges Gesicht, eine tiefe Querfalte auf der Nasenwurzel, einen vollen, entschlossenen und manchmal strengen Mund, braune Augen unter fleischigen Lidern und kurzgeschnittenes graues Haar. Sie lebt mit ihren zwei herangewachsenen Kindern, Röschen und Georg, die sich bei ihr zu wohl fühlen, um den Sprung in die Selbständigkeit zu schaffen.
»Solltest du wirklich unseren Vatertagsausflug nach Edenkoben vergessen haben? Wenn das so ist, dann ist’s wohl eher an mir, sauer zu sein.«
»O weh – wann und wo muß ich Tennis spielen? Und erfahre ich, warum?«
»Ich hole dich um Viertel nach vier ab, zu Hause, oder?«
»Und bringst mich um sieben zur Liedertafel, wir proben heute abend.«
»Will ich gerne machen. Wir spielen von fünf bis sechs, auf dem RCW -Tennisplatz in Oggersheim, ein gemischtes Doppel mit einer Chefsekretärin und ihrem Freund, dem Hauptverdächtigen meines derzeitigen Falles.«
»Wie aufregend«, sagte Babs. Manchmal hatte ich das Gefühl, daß sie meinen Beruf nicht ernst nahm.
»Wenn du noch mehr wissen willst, kann ich’s dir auf der Fahrt erzählen. Und wenn nicht, macht’s auch nichts, du mußt sowieso natürlich und unbefangen sein.«
Es klingelte.
Es klingelte wahrhaftig noch so, wie es zu meiner Schulzeit geklingelt hatte. Babs und ich traten auf den Gang, und ich sah die Schüler in die Klassenzimmer strömen. Es waren nicht nur andere Kleider und andere Haare, sondern auch andere Gesichter als damals. Sie kamen mir zerrissener vor, wissender und ihres Wissens nicht froh. Die Kinder hatten eine herausfordernde, gewaltsame und zugleich unsichere Art, sich zu bewegen. Die Luft vibrierte von ihrem Geschrei und Gelärm. Fast fühlte ich mich bedroht, und ich war bedrückt.
»Wie hältst du’s hier aus, Babs?«
Sie verstand mich nicht. Vielleicht wegen des Lärms. Sie sah mich fragend an.
»Also dann, bis heute nachmittag.« Ich gab ihr einen Kuß. Ein paar Schüler pfiffen.
Ich genoß die Ruhe meines Autos, fuhr ins Horten-Parkhaus, kaufte Champagner, Tennissöckchen und hundert Blatt Schreibmaschinenpapier für den Bericht, den ich heute abend schreiben müßte.
20
Ein schönes Paar
Babs und ich waren kurz vor fünf am Platz. Weder das grüne noch das silberne Kabriolett stand da. Es war mir recht, der erste zu sein. Meine Tennissachen hatte ich schon zu Hause angezogen, den Champagner ließ ich kalt stellen. Dann setzten Babs und ich uns auf die oberste Stufe der Treppe, die
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