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Selbs Justiz

Selbs Justiz

Titel: Selbs Justiz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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zwei Minuten konnte ich das Dinner mit in die Kajüte nehmen. Philipp hatte den Tisch gedeckt und Zarah Leander aufgelegt.
    Nach dem Essen gingen wir auf die Brücke, wie Philipp es nannte. »Und wo hißt man hier das Segel?« Philipp kannte meine dummen Witze und regte sich nicht auf. Auch meine Frage, ob er noch navigieren könne, hielt er für einen schlechten Witz. Wir waren ganz schön blau.
    Wir fuhren unter der Altrheinbrücke durch und wandten uns, als wir den Rhein erreicht hatten, rheinaufwärts. Der Strom lag schwarz und schweigend. Auf dem Gelände der RCW waren viele Gebäude hell erleuchtet, fackelten hohe Rohre bunte Feuer ab, warfen Peitschenlampen grelles Licht. Der Motor tuckerte leise, das Wasser schlug klatschend gegen die Bordwand, und vom Werk drang ein gewaltiges, tosendes Fauchen. Wir glitten am Verladehafen der RCW , an Lastkähnen, Anlegestellen und Containerkränen, an Gleisanlagen und Lagerhallen vorbei. Nebel kam auf. Es war frisch geworden. Vor uns konnte ich schon die Kurt-Schumacher-Brücke erkennen. Das Gelände der RCW wurde düster, hinter den Gleisen ragten alte Gebäude spärlich beleuchtet in den Nachthimmel.
    Ich hatte eine Eingebung. »Fahr mal rechts ran«, sagte ich zu Philipp.
    »Du meinst, ich soll anlegen? Jetzt, dort, bei den RCW ? Warum denn das?«
    »Ich möchte mir was ansehen. Kannst du da eine halbe Stunde parken und auf mich warten?«
    »Das heißt nicht parken, sondern vor Anker gehen, wir sind auf einem Boot. Ist dir klar, daß wir halb elf haben? Ich dachte, wir machen vor dem Schloß die Kurve, tuckern zurück und trinken nachher im Waldhof-Becken die vierte Flasche.«
    »Ich erkläre dir das alles nachher bei der vierten Flasche. Aber jetzt muß ich da rein. Es hängt mit dem Fall zusammen, von dem ich dir vorhin erzählt habe. Und ich bin überhaupt nicht mehr blau.«
    Philipp sah mich kurz prüfend an. »Du wirst wissen, was du machst.« Er steuerte das Boot nach rechts und fuhr mit einer ruhigen Konzentration, die ich ihm nicht mehr zugetraut hatte, langsam an der Kaimauer entlang, bis er eine in die Wand eingelassene Leiter fand. »Häng die Fender raus.« Er deutete auf drei weiße, wurstähnliche Plastikobjekte. Ich warf sie über Bord, glücklicherweise waren sie angebunden, und er machte das Boot an der Leiter fest.
    »Ich hätte dich gerne dabei. Aber noch lieber weiß ich dich hier, startklar. Hast du eine Taschenlampe für mich?«
    »Aye, aye, Sir.«
    Ich kletterte die Leiter hoch. Mich fröstelte. Das Pulloverhemd, das mir unter irgendeinem amerikanischen Namen verkauft worden war und das ich unter der alten Lederjacke zu meinen neuen Nietenhosen trug, wärmte nicht. Ich lugte über die Kaimauer.
    Vor mir lagen parallel zum Rheinufer eine schmale Straße, dahinter ein Gleis mit Eisenbahnwaggons. Die Gebäude waren Backsteinbauten des Stils, den ich vom Werkschutz und von der Wohnung Schmalz’ kannte. Ich hatte das alte Werk vor mir. Hier irgendwo mußte Schmalz’ Hangar sein.
    Ich wandte mich nach rechts, wo die alten Backsteinbauten niedriger wurden. Ich versuchte, zugleich vorsichtig und mit der Selbstverständlichkeit dessen zu laufen, der hierher gehört. Ich hielt mich im Schatten der Eisenbahnwaggons.
    Sie kamen, ohne daß der Schäferhund, den sie dabeihatten, Laut gab. Der eine leuchtete mir mit der Stablampe ins Gesicht, der andere fragte mich nach meinem Ausweis. Ich holte den Sonderausweis aus der Brieftasche. »Herr Selb? was machen Sie hier mit Ihrem Sonderauftrag?«
    »Ich brauchte keinen Sonderausweis, wenn ich Ihnen das sagen müßte.«
    Aber damit hatte ich sie nicht beruhigt und auch nicht eingeschüchtert. Es waren zwei junge Bürschchen, wie man sie jetzt auch bei der Bereitschaftspolizei findet. Früher fand man sie bei der Waffen- SS . Das ist natürlich ein unzulässiger Vergleich, weil es heute um die freiheitliche demokratische Grundordnung geht, doch die Mischung aus Eifer, Ernst, Unsicherheit und Servilität in den Gesichtern ist dieselbe. Sie trugen eine Art paramilitärischer Uniform mit dem Benzolring am Kragenspiegel.
    »Aber Kollegen«, sagte ich, »lassen Sie mich meinen Job zu Ende bringen, und tun Sie Ihren. Wie ist der Name? Will Danckelmann morgen gerne sagen, daß man sich auf Sie verlassen kann. Weiter so!«
    Ich erinnere mich nicht mehr an ihre Namen; sie klangen so ähnlich wie Energie und Ausdauer. Ich schaffte es nicht, sie dazu zu bringen, ihre Hacken zusammenzuschlagen. Aber der eine gab mir den Ausweis

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