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Selbs Justiz

Selbs Justiz

Titel: Selbs Justiz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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stimmigeres Bild. Da war also die Konfrontation zwischen den RCW und Mischkey bis zum Einsatz professioneller Schläger gediehen. Aber von dem Denkzettel, den Mischkey auf dem Ehrenfriedhof bekommen hatte, zum Mord ist ein gewaltiger Schritt.
    Ich saß hinter meinem Schreibtisch. Die Sweet Afton hatte sich selbst geraucht und nur ihren aschenen Leib zurückgelassen. Auf der Augusta-Anlage rauschte der Verkehr vorbei. Vom Hinterhof hörte ich das Geschrei spielender Kinder. Es gibt Tage im Herbst, an denen einem Weihnachten in den Sinn kommt. Ich überlegte, womit ich meinen Baum in diesem Jahr schmücken sollte. Klärchen liebte es klassisch und behängte den Baum jahraus, jahrein mit silbrig glänzenden Glaskugeln und Lametta. Ich habe seitdem von Wikingautos bis Zigarettenschachteln manches ausprobiert. Damit habe ich mir bei meinen Freunden einen Ruf erworben, aber auch Maßstäbe gesetzt, denen ich nun verpflichtet bin. Das Universum der kleinen christbaumschmuckfähigen Gegenstände ist nicht unbegrenzt. Ölsardinendosen zum Beispiel wären dekorativ, sind aber schon sehr schwer.
    Philipp rief an und forderte mich auf, seinen neuen Kabinenkreuzer anzuschauen. Brigitte fragte, was ich heute abend vorhabe. Ich lud sie zu mir zum Essen ein, rannte los und besorgte noch ein Schweinelendchen, gekochten Schinken und Chicorée.
    Es gab Lendchen italienische Art. Danach legte ich ›Der Mann, der die Frauen liebte‹ ein. Ich kannte den Film schon und war gespannt, wie Brigitte darauf reagieren würde. Als der Schürzenjäger den schönen Frauenbeinen nach und in das Auto lief, fand sie, das geschehe ihm recht. Sie mochte den Film nicht besonders. Aber als er zu Ende war, ließ sie sich’s nicht nehmen, wie zufällig vor der Stehlampe zu posieren und ihre Beine im Gegenlicht zur Geltung zu bringen.

18
Eine kleine Geschichte
    Ich setzte Brigitte zur Arbeit am Collini-Center ab und trank bei ›Gmeiner‹ den zweiten Kaffee. Ich hatte keine heiße Spur im Fall Mischkey. Natürlich konnte ich weiter nach meinen blöden kleinen Steinchen suchen, sie ratlos hin und her wenden und zu diesem oder jenem Bild kombinieren. Ich hatte es satt. Ich fühlte mich jung und dynamisch nach der Nacht mit Brigitte.
    Im Verkaufsraum stritt die Chefin mit ihrem Sohn. »So wie du dich anstellst, frage ich mich, ob du überhaupt Konditor werden willst.« Wollte ich meine Spuren wirklich verfolgen, so wie ich mich anstellte? Vor denen, die in die RCW führten, hatte ich Scheu. Warum? Fürchtete ich die Entdeckung, daß ich Mischkey ans Messer geliefert hatte? Hatte ich mir die Spuren mit den Rücksichten auf mich und auf Korten und auf unsere Freundschaft selbst versaut?
    Ich fuhr nach Heidelberg ins RRZ . Gremlich wollte mich rasch im Stehen abfertigen. Ich setzte mich und holte wieder Mischkeys Computerausdruck aus der Aktentasche.
    »Sie wollten das noch mal sehen, Herr Gremlich. Ich kann’s Ihnen jetzt dalassen. Mischkey war schon ein Teufelskerl, ist noch mal ins RCW -System reingekommen, obwohl die Leitung schon gekappt war. Ich vermute übers Telephon, oder was meinen Sie?«
    »Ich weiß nicht, wovon Sie reden«, log er schlecht.
    »Sie lügen schlecht, Herr Gremlich. Aber das macht nichts. Für das, was ich Ihnen zu sagen habe, kommt’s nicht drauf an, ob Sie gut oder schlecht lügen.«
    »Was?«
    Er stand immer noch und sah mich ratlos an. Ich machte eine einladende Handbewegung. »Wollen Sie sich nicht setzen?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Ich muß Ihnen nicht sagen, wem der rote Ford Escort HD-S 735 unten auf dem Parkplatz gehört. Heute vor genau drei Wochen stürzte Mischkey mit seinem Auto von der Eisenbahnbrücke zwischen Eppelheim und Wieblingen auf die Gleise, nachdem ihn ein roter Ford Escort abgedrängt hatte. Der Zeuge, den ich ausfindig machen konnte, hat sogar gesehen, daß das polizeiliche Kennzeichen des roten Escort mit HD anfängt und mit 735 endet.«
    »Und warum erzählen Sie das mir? Sie sollten damit zur Polizei gehen.«
    »Ganz richtig, Herr Gremlich. Schon der Zeuge hätte zur Polizei gehen sollen. Ich habe ihm erst klarmachen müssen, daß eine eifersüchtige Ehefrau kein Grund ist, einen Mord zu decken. Inzwischen ist er bereit, mit mir zur Polizei zu gehen.«
    »Ja und?« Er verschränkte überlegen die Arme auf der Brust.
    »Die Chancen, daß ein weiterer roter Escort aus Heidelberg ein Kennzeichen hat, auf das die Beschreibung paßt, sind vielleicht … Ach, rechnen Sie’s selber aus. Die Schäden an

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