Selbs Justiz
Werkschutz und vom Rechenzentrum ihre Falle aufgestellt hatten, und ich ging ins Rechenzentrum, um sie mir anzusehen.
Oelmüller war nicht da. Einer seiner Mitarbeiter, den das Namensschildchen als Herrn Tausendmilch auswies, zeigte mir am Bildschirm die Benachrichtigung der Benutzer über die falsche Datei.
»Soll ich’s Ihnen ausdrucken lassen? Es macht überhaupt keine Mühe.«
Ich nahm den Ausdruck und ging rüber zu Firners Büro. Weder Firner noch Frau Buchendorff waren da.
Eine Schreibkraft erzählte mir etwas über Kakteen. Ich hatte genug für heute und verließ das Werk.
Wäre ich jünger gewesen, wäre ich trotz des Regens an die Adria rausgefahren und hätte den Kater wegge-schwommen. Wenn ich einfach in mein Auto hätte steigen können, hätte ich es vielleicht trotz meines Alters getan. Aber mit meinem kaputten Arm konnte ich noch immer nicht fahren. Der Pförtner, derselbe wie am Un-falltag, rief mir ein Taxi.
»Sie sind doch der, wo am Freitag dem Schmalz sein Sohn gebracht hat. Sind Sie der Selb? Dann hab ich was für Sie.«
Er machte sich unter seinem Kontroll- und Alarm-pult zu schaffen und kam mit einem Päckchen wieder hoch, das er mir mit Wichtigkeit überreichte.
»Da ist ein Kuchen drin, als Überraschung für Sie.
Den hat die Frau Schmalz gebacken.«
Ich ließ mich vom Taxi zum Herschelbad bringen, In der Sauna war Frauentag. Ich ließ mich zum ›Kleinen 64
Rosengarten‹ fahren, meinem Stammlokal, und aß Sal-timbocca Romana. Dann ging ich ins Kino.
Die erste Kinovorstellung am frühen Nachmittag hat ihren Charme, gleichgültig, was gezeigt wird. Das Publikum besteht aus Pennern, Dreizehnjährigen und fru-strierten Intellektuellen. Früher, als es sie noch gab, waren in den Frühvorstellungen die Fahrschüler. Frühreife Schüler gingen früher auch zum Schmusen in die Frühvorstellung. Aber Babs, eine befreundete Realschuldi-rektorin, versichert mir, daß die Schüler in der Schule schmusen und um eins schon ausgeschmust haben.
Ich war in das falsche der sieben Kästchen geraten, aus denen das Kino bestand, und mußte mir ›On Golden Pond‹ ansehen. Ich mochte alle Hauptdarsteller sehr gerne, aber am Ende war ich froh, daß ich keine Frau mehr hatte, keine Tochter und auch keinen kleinen Bastard von Enkel.
Auf dem Heimweg ging ich am Büro vorbei. Ich fand die Nachricht, daß Schneider sich erhängt hatte. Frau Buchendorff hatte sie mit äußerster Sachlichkeit auf den Anrufbeantworter gesprochen und um sofortigen Rückruf gebeten.
Ich schenkte mir einen Sambuca ein.
»Hat Schneider eine Nachricht hinterlassen?«
»Ja. Wir haben sie hier. Wir denken, daß Ihr Fall abgeschlossen ist. Firner würde Sie gerne sehen, um mit Ihnen darüber zu sprechen.«
Ich sagte Frau Buchendorff, daß ich sofort käme, und rief ein Taxi.
Firner war aufgeräumt. »Grüß Sie, Herr Selb. Scheuß-
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liche Sache, das. Er hat sich im Labor aufgehängt, an einem Elektrokabel. Eine Auszubildende mußte ihn finden. Wir haben natürlich alles versucht, ihn zu reani-mieren. Umsonst. Lesen Sie den Abschiedsbrief durch, wir haben unseren Mann.«
Er übergab mir die Fotokopie eines hastig beschrie-benen, anscheinend an die Frau gerichteten Blatts.
»Mein Dorle – verzeih. Denk nicht, daß Du mich nicht genug geliebt hast – ohne Deine Liebe hätte ich es schon früher getan. Jetzt kann ich nicht mehr. Sie wissen alles und lassen mir keinen anderen Weg. Ich wollte Dich glücklich machen und Dir alles geben – schenke Gott Dir ein leichteres Leben als in diesen entsetzlichen letzten Jahren. Du verdienst es so sehr. Ich küsse Dich – bis in den Tod Dein Franz.«
»Sie haben Ihren Mann? Das läßt doch alles offen. Ich habe mit Schneider heute früh gesprochen. Es ist das Spiel, das ihn im Griff hatte und in den Tod getrieben hat.«
»Sie sind ein Defätist.« Firner lachte mir mit offenem Mund schallend ins Gesicht.
»Wenn Korten meint, der Fall sei gelöst, kann er ihn mir natürlich jederzeit entziehen. Ich glaube aber, daß Ihre Schlüsse voreilig sind. Und auch nicht ganz ernst gemeint. Oder haben Sie schon Ihre Fangschaltung abgestellt?«
Firner war nicht beeindruckt. »Routine, Herr Selb, Routine. Natürlich lassen wir die Schaltung weiterlau-66
fen. Aber zunächst ist die Sache erledigt. Wir müssen nur noch einige Einzelheiten abklären, vor allem, wie Schneider seine Manipulationen realisieren konnte.«
»Ich bin sicher, daß Sie mich bald wieder anrufen.«
»Wir werden
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