Selbs Justiz
auf eine bestimmte Kontrollanweisung durch das System die Terminals, die in Betrieb sind, in ihrem Arbeitsspeicher einen kleinen Schalter setzen. Der Benutzer kann das nicht bemerken.
Die Kontrollanweisung wurde in dem Augenblick an die Terminals geschickt, in dem die Köderdatei angesprochen wurde. Unsere Absicht dabei war, alle Terminals, die in dieser Sekunde mit dem System kommuni-zierten, später anhand des Zustands des Schalters zu identifizieren, und das eben unabhängig von der Termi-74
nalnummer, unter der sich der Täter getarnt haben könnte.«
»Kann ich mir das vorstellen wie die Identifizierung eines gestohlenen Autos nicht am falschen Nummernschild, sondern an der Motornummer?«
»Na, so etwa.« Oelmüller nickte mir ermunternd zu.
»Und wie erklären Sie sich dann, daß trotz allem die Maus nicht in der Falle war?«
Thomas antwortete. »Wir haben im Moment keine
Erklärung. Woran Sie jetzt vielleicht denken – ein Eingriff von außen scheidet nach wie vor aus. Die Fangschaltung der Post steht noch und hat nichts signalisiert.«
Keine Erklärung. Und das von den Spezialisten.
Mich störte meine Abhängigkeit von ihrem Sachverstand. Zwar konnte ich dem, was Oelmüller mir darge-legt hatte, folgen. Aber seine Prämissen konnte ich nicht überprüfen. Womöglich waren die beiden nicht besonders gescheit, und es war kein großes Problem, die Falle zu überlisten. Aber was sollte ich machen?
Mich in Computer einarbeiten? Die anderen Spuren verfolgen? Welche anderen Spuren gab es denn? Ich war ratlos.
»Für Herrn Oelmüller und mich ist das Ganze sehr peinlich«, sagte Thomas. »Wir waren sicher, mit der Falle den Täter zu stellen, und haben das dummerweise auch gesagt. Die Zeit drängt, und trotzdem sehe ich nur die Möglichkeit, in mühevoller Kleinarbeit alle unsere Prämissen und Schlußfolgerungen zu überprüfen. Vielleicht sollten wir auch mit dem Hersteller des Systems 75
reden, nicht wahr, Herr Oelmüller? Können Sie uns sagen, Herr Selb, wie Sie weiter vorgehen wollen?«
»Ich muß mir alles erst einmal durch den Kopf gehen lassen.«
»Ich wäre froh, wenn Sie mit uns in Kontakt blieben.
Setzen wir uns Montag vormittag wieder zusammen?«
Als wir schon standen und uns verabschiedeten, fiel mir noch einmal der Unfall ein. »Was ist eigentlich bei Ihrer Suche nach den Ursachen der Explosion heraus-gekommen, und erfolgte der Smogalarm zu Recht?«
»Den Smogalarm scheint das rrz zu Recht veranlaßt zu haben. Bei der Unfallursache sind wir jedenfalls so weit, daß es nichts mit unserem Rechner zu tun hat. Ich muß Ihnen nicht sagen, wie erleichtert ich war. Ein gebrochenes Ventil – das haben die Leute vom Anlagen-bau zu verantworten.«
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Lange Leitung
Bei guter Musik kann ich gut nachdenken. Ich hatte die Anlage eingeschaltet, das ›Wohltemperierte Klavier‹
aber noch nicht aufgelegt, weil ich mir in der Küche erst ein Bier holen mußte.
Als ich zurückkam, hatte meine Nachbarin einen Stock tiefer ihr Radio laut gestellt und ließ mich ihren derzeitigen Lieblingsschlager hören. ›We’re living in a material world and I’m a material girl …‹
Ich stampfte vergebens auf den Boden. Also zog ich den Hausmantel aus und die Schuhe und das Jackett an, ging eine Treppe tiefer und klingelte. Ich wollte das
›material girl‹ fragen, ob in seiner ›material world‹ nicht doch noch Platz sei für Rücksicht. Auf mein Klingeln wurde nicht geöffnet, und aus der Wohnung drang keine Musik. Offensichtlich war niemand zu Hause. Die anderen Nachbarn waren in Urlaub, und über meiner Wohnung ist nur noch der Speicher.
Dann merkte ich, daß die Musik aus meinem eigenen Lautsprecher kam. Ein Radio habe ich an meine Anlage nicht angeschlossen. Ich spielte am Verstärker rum und kriegte die Musik nicht weg. Ich legte die Platte auf.
Bach konnte in den Forti den ominösen anderen Kanal 77
mühelos übertönen, mußte sich die Piani aber mit dem Nachrichtensprecher des Südwestfunks teilen. Irgend etwas schien an meiner Anlage kaputt zu sein.
Vielleicht lag es am Mangel guter Musik, daß mir an dem Abend nicht mehr viel einfiel. Ich spielte ein Sze-nario durch, in dem Oelmüller der Täter war. Da paßte alles bis auf die Psychologie. Der Schalk und Spieler war er gewiß nicht – konnte er der Erpresser sein?
Nach allem, was ich über Computerkriminalität gelegentlich mitbekommen hatte, würde jemand, der mit dem Computer arbeitete, diesen anders für seine krimi-nellen
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