Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Selbs Justiz

Selbs Justiz

Titel: Selbs Justiz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Schlink , Walter Popp
Vom Netzwerk:
gestrigen Werte den Smogalarm überhaupt rechtfertigen konnten«, ergriff Oelmüller wieder das Wort. »Sie haben gleich angefangen, die Emissionsdaten auszuwerten, die auch wir in unserem mbi-System, unserem Management- und Betriebsinformationssystem, erfassen.«
    »Den Online-Anschluß an die staatliche Emissions-erfassung hat man der Industrie immerhin zugestanden«, sagte Ostenteich.
    »Halten Sie es für möglich, Herr Oelmüller, daß der Unfall und die Vorfälle im Computersystem in einem Zusammenhang stehen?«
    »Daran habe ich auch schon gedacht. Bei uns werden so gut wie alle Produktionsprozesse elektronisch ge-steuert, und es gibt eine Menge Querverbindungen zwischen den Prozeßrechnern und dem mbi-System. Manipulationen vom mbi-System aus – ich kann’s nicht ausschließen, trotz aller eingebauter Sicherungen. Über den gestrigen Unfall weiß ich allerdings nicht genug, um sagen zu können, ob ein Verdacht in der Richtung Hand und Fuß hat. Furchtbar, was danach auf uns zukommen könnte.«
    Ostenteichs Interpretation des gestrigen Unfalls hatte mich fast vergessen lassen, daß ich noch den Arm in der Schlinge trug. Ich prostete den Herren zu und machte 53
    mich auf den Weg zum Büfett. Mit den Hammellendchen in der Kräuterkruste auf dem vorgewärmten Teller steuerte ich Firners Tisch an, als Schmalz auf mich zu-trat.
    »Dürften meine Frau und ich Herrn Doktor einmal einladen, Kaffee trinken?« Anscheinend hatte Schmalz meinen Doktortitel ausfindig gemacht und gerne aufgegriffen, um einen weiteren Zischlaut zu neutralisieren.
    »Das ist überaus liebenswürdig, Herr Schmalz«, bedankte ich mich. »Aber verstehen Sie bitte, daß ich bis zum Abschluß dieses Falls über meine Zeit nicht dispo-nieren kann.«
    »Na, dann ein andermal vielleicht.« Schmalz wirkte unglücklich, aber daß der Betrieb vorging, verstand er.
    Ich sah mich nach Firner um und fand ihn, als er gerade mit einem Teller vom Büfett zu seinem Tisch steuerte.
    Er blieb kurz stehen. »Grüß Sie, haben Sie etwas rausgekriegt?« Er hielt seinen Teller linkisch in Brust-höhe, um einen Rotweinfleck auf dem Smokinghemd zu verdecken.
    »Ja«, sagte ich einfach. »Und Sie?«
    »Wie darf ich das verstehen, Herr Selb?«
    »Stellen Sie sich vor, da ist ein Erpresser, der zunächst durch Manipulationen im mbi-System und dann durch die Verursachung einer Gasexplosion seine Überlegen-heit demonstrieren will. Dann fordert er zehn Millionen von den rcw. Wer im Unternehmen würde die Forderung als erster auf den Schreibtisch kriegen?«
    »Korten. Weil nur er über einen solchen Betrag ent-54
    scheiden könnte.« Er runzelte die Stirn und blickte un-willkürlich zu dem leicht erhöhten Tisch, an dem Korten mit dem chinesischen Delegationsleiter, dem Ministerpräsidenten und anderen wichtigen Persönlichkei-ten saß. Ich wartete vergeblich auf ein abwiegelndes
    »Aber Herr Selb, wo denken Sie hin.« Er ließ den Teller sinken. Der Rotweinfleck tat ein übriges, um hinter der Fassade gelassener Souveränität einen angespannten und verunsicherten Firner sichtbar werden zu lassen. Als wäre ich nicht mehr da, machte er gedankenverloren einige Schritte auf das geöffnete Fenster zu. Dann riß er sich zusammen, präsentierte den Teller vor der Brust, nickte mir kurz zu und ging entschlossenen Schritts zu seinem Tisch. Ich ging aufs Klo.
    »Na, mein lieber Selb, geht’s voran?« Korten stellte sich ans andere Becken und fingerte am Hosenschlitz.
    »Meinst du den Fall oder die Prostata?« Er pinkelte und lachte. Lachte immer lauter, mußte sich mit der Hand an den Kacheln stützen, und dann fiel’s auch mir wieder ein. Wir hatten schon einmal so nebeneinander gestanden, im Pissoir vom Friedrich-Wilhelm-Gymnasium. Es war als vorbereitende Maßnahme fürs Schwänzen geplant gewesen; der Bechtel sollte, wenn der Lehrer unser Fehlen bemerkt, aufstehen und sagen: »Dem Korten und dem Selb war vorhin schlecht, und sie sind auf dem Abort - ich gehe rasch nach ihnen sehen.« Aber der Lehrer sah selbst nach uns, fand uns fröhlich stehen und ließ uns zur Strafe die Stunde weiter da stehen, ab und zu kontrolliert vom Pedell.
    »Gleich kommt Professor Brecher mit dem Mono-
    55
    kel«, prustete Korten. »Der Kotzer, gleich kommt der Kotzer« - mir fiel der Spitzname ein, und wir standen mit offenen Hosen, schlugen uns auf die Schultern, und mir kamen die Tränen und tat der Bauch weh vor Lachen.
    Damals wär’s beinahe böse weitergegangen. Brecher hatte uns dem

Weitere Kostenlose Bücher