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Selbs Justiz

Selbs Justiz

Titel: Selbs Justiz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Schlink , Walter Popp
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sehen, Herr Selb«, Firner steckte doch tatsächlich den Daumen in die Weste seines dreiteiligen Anzugs und spielte mit den restlichen Fingern den
    ›Yankeedoodle‹.
    Auf dem Heimweg im Taxi dachte ich an Schneider.
    War ich schuld an seinem Tod? Oder war Eberhard schuld, der zuviel Bordeaux mitgebracht hatte, so daß ich heute verkatert und schroff mit Schneider umgegangen war? Oder der Küchenchef mit seiner Forster Bischofsgarten Spätlese, die uns endgültig geschafft hatte?
    Oder der Regen und das Rheuma? Die Schuld- und Kausalketten ließen sich unendlich fortverfolgen.
    Schneider im weißen Laborkittel kam mir in den nächsten Tagen öfter in den Sinn. Viel zu tun hatte ich nicht. Goedeke verlangte einen weiteren und ausführli-cheren Bericht über den untreuen Filialleiter, und ein anderer Auftraggeber wandte sich an mich, weil er nicht wußte, daß er dieselbe Information vom Ordnungsamt hätte bekommen können.
    Am Mittwoch, mein Arm war auf dem Weg der Bes-
    serung, konnte ich endlich meinen Wagen vom Parkplatz der rcw zurückholen. Das Chlor hatte den Lack angegriffen, das würde ich auf die Rechnung setzen.
    Der Pförtner begrüßte mich und fragte, ob der Kuchen geschmeckt habe. Ich hatte ihn am Montag im Taxi vergessen.
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    Bei den Käuzchen
    Das Problem der Schuld- und Kausalketten trug ich meinen Freunden beim Doppelkopf vor. Ein paarmal im Jahr treffen wir uns mittwochs in den ›Badischen Weinstuben‹ zum Spielen. Eberhard, der Schachgroß-
    meister, Willy, Ornithologe und Emeritus der Universität Heidelberg, Philipp, Chirurg an den Städtischen Krankenanstalten, und ich.
    Philipp ist mit seinen siebenundfünfzig Jahren unser Benjamin, Eberhard unser zweiundsiebzigjähriger Ne-stor. Willy ist ein halbes Jahr jünger als ich. Wir kommen mit dem Doppelkopfspielen nie sehr weit, wir reden zu gerne.
    Ich erzählte von Schneiders Vorleben, seiner Spielleidenschaft und davon, daß ich einen Verdacht gegen ihn hatte, an den ich selber nicht recht glaubte, dessentwe-gen ich ihn aber hart angefaßt hatte. »Zwei Stunden später hängt sich der Mann auf, ich glaube, nicht wegen meines Verdachts, sondern weil er die Aufdeckung seiner fortdauernden Spielleidenschaft voraussah. Bin ich an seinem Tod schuld?«
    »Du bist doch der Jurist«, sagte Philipp. »Habt ihr keine Kriterien für so was?«
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    »Juristisch bin ich nicht schuld. Aber mich interessiert das menschliche Problem.«
    Die drei guckten ratlos. Eberhard sinnierte. »Dann darf ich ja beim Schach nicht mehr gewinnen, weil mein Gegner sensibel sein und sich die Niederlage so zu Herzen nehmen könnte, daß er sich deswegen um-bringt.«
    »Also, wenn du weißt, daß die Niederlage der Tropfen ist, der sein Depressionsglas zum Überlaufen bringt, dann laß die Finger von ihm und such dir einen anderen Gegner.«
    Mit diesem Bescheid Philipps war Eberhard nicht zufrieden. »Was mach ich beim Turnier, wo ich mir den Gegner nicht aussuchen kann?«
    »Also, bei den Käuzchen …«, setzte Willy an. »Mir wird immer klarer, warum ich die Käuzchen so liebe.
    Die fangen ihre Mäuse und Spatzen, versorgen ihre Jungen, leben in ihren Baumhöhlen und Erdlöchern, brauchen keine Gesellschaft und keinen Staat, sind mutig und schneidig, ihren Familien treu, haben tiefe Weisheit im Auge, und so ein weinerliches Gerede über Schuld und Sühne hab ich bei ihnen noch nie gehört. Im übrigen, wenn’s euch nicht ums Juristische, sondern ums Menschliche geht: Alle Menschen sind an allem schuld.«
    »Komm du mir mal unters Messer. Wenn mir das
    ausrutscht, weil mich die Krankenschwester scharf macht, sollen dann alle hier schuld sein?« Philipp machte eine weitausholende Handbewegung. Der Ober
    verstand sie als Bestellung einer weiteren Runde und brachte ein Pils, einen Laufener Gutedel, einen Ihringer 69
    Vulkanfelsen und einen Grog von Rum für den erkälte-ten Willy.
    »Na, jedenfalls kriegst du’s mit uns allen zu tun, wenn du den Willy verschnipselst.« Ich prostete Willy zu.
    Er konnte nicht zurückprosten, sein Grog war noch zu heiß.
    »Keine Angst, ich bin doch nicht blöd. Wenn ich dem Willy was tu, können wir ja nicht mehr Doppelkopf spielen.«
    »Genau, spielen wir noch eine Runde«, sagte Eberhard. Aber noch ehe Hochzeiten angezeigt und
    Schweinchen gemeldet werden konnten, faltete er nachdenklich sein Blatt zusammen und legte das Häufchen auf den Tisch. »Nun mal ernsthaft, ich als der Älteste kann das am ehesten ansprechen. Was wird aus uns,

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