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Selbs Justiz

Selbs Justiz

Titel: Selbs Justiz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Schlink , Walter Popp
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Boot nach rechts und fuhr mit einer ruhigen Konzentration, die ich ihm nicht mehr zugetraut hatte, langsam an der Kaimauer entlang, bis er eine in die Wand eingelassene Leiter fand. »Häng die Fender raus.« Er deutete auf drei weiße, wurstähnliche Plastikobjekte. Ich warf sie über Bord, glücklicher-weise waren sie angebunden, und er machte das Boot an der Leiter fest.
    »Ich hätte dich gerne dabei. Aber noch lieber weiß ich dich hier, startklar. Hast du eine Taschenlampe für mich?«
    »Aye, aye, Sir.«
    Ich kletterte die Leiter hoch. Mich fröstelte. Das Pul-loverhemd, das mir unter irgendeinem amerikanischen Namen verkauft worden war und das ich unter der alten Lederjacke zu meinen neuen Nietenhosen trug, wärmte nicht. Ich lugte über die Kaimauer.
    Vor mir lagen parallel zum Rheinufer eine schmale Straße, dahinter ein Gleis mit Eisenbahnwaggons. Die Gebäude waren Backsteinbauten des Stils, den ich vom Werkschutz und von der Wohnung Schmalz’ kannte.
    Ich hatte das alte Werk vor mir. Hier irgendwo mußte Schmalz’ Hangar sein.
    Ich wandte mich nach rechts, wo die alten Backsteinbauten niedriger wurden. Ich versuchte, zugleich vor-219
    sichtig und mit der Selbstverständlichkeit dessen zu laufen, der hierher gehört. Ich hielt mich im Schatten der Eisenbahnwaggons.
    Sie kamen, ohne daß der Schäferhund, den sie dabei-hatten, Laut gab. Der eine leuchtete mir mit der Stab-lampe ins Gesicht, der andere fragte mich nach meinem Ausweis. Ich holte den Sonderausweis aus der Brieftasche. »Herr Selb? was machen Sie hier mit Ihrem Son-derauftrag?«
    »Ich brauchte keinen Sonderausweis, wenn ich Ihnen das sagen müßte.«
    Aber damit hatte ich sie nicht beruhigt und auch nicht eingeschüchtert. Es waren zwei junge Bürschchen, wie man sie jetzt auch bei der Bereitschaftspolizei findet. Früher fand man sie bei der Waffen-ss. Das ist na-türlich ein unzulässiger Vergleich, weil es heute um die freiheitliche demokratische Grundordnung geht, doch die Mischung aus Eifer, Ernst, Unsicherheit und Servili-tät in den Gesichtern ist dieselbe. Sie trugen eine Art paramilitärischer Uniform mit dem Benzolring am Kragenspiegel.
    »Aber Kollegen«, sagte ich, »lassen Sie mich meinen Job zu Ende bringen, und tun Sie Ihren. Wie ist der Name? Will Danckelmann morgen gerne sagen, daß man sich auf Sie verlassen kann. Weiter so!«
    Ich erinnere mich nicht mehr an ihre Namen; sie klangen so ähnlich wie Energie und Ausdauer. Ich schaffte es nicht, sie dazu zu bringen, ihre Hacken zu-sammenzuschlagen. Aber der eine gab mir den Ausweis zurück, und der andere machte die Taschenlampe aus.
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    Der Schäferhund hatte die ganze Zeit unbeteiligt dabei-gestanden.
    Als ich sie nicht mehr sah und ihr Schritt verhallt war, ging ich weiter. Die niedrigen Gebäude, die ich gesehen hatte, machten einen heruntergekommenen Eindruck.
    Manche Fenster waren eingeschlagen, manche Türen hingen schief in den Angeln, gelegentlich fehlte das Dach. Das Areal war offensichtlich für den Abbruch vorgesehen. Aber vor einem Gebäude hatte der Verfall haltgemacht. Es war auch ein einstöckiger Backsteinbau, mit romanischen Fenstern und Tonnengewölbe aus Wellblech. Wenn hier etwas Schmalz’ Hangar war, dann dieser Bau.
    Meine Taschenlampe fand im großen Schiebetor die kleine Servicetür. Beide waren abgeschlossen, die große bekam man überhaupt nur von innen auf. Zuerst wollte ich den Scheckkartentrick gar nicht versuchen, aber dann dachte ich daran, daß Schmalz an dem fraglichen Abend, heute vor drei Wochen, womöglich gar nicht mehr die Kraft und den Geist gehabt hatte, an Kleinigkeiten wie Türschlösser zu denken. Und in der Tat, mit meinem Sonderausweis kam ich in den Hangar rein.
    Blitzschnell mußte ich die Tür schließen. Energie und Ausdauer bogen ums Eck.
    Ich lehnte mich an die kalte Eisentür und holte tief Luft. Jetzt war ich wirklich nüchtern. Und immer noch fand ich es gut, daß ich mich spontan im Gelände der rcw auf die Suche gemacht hatte. Daß der alte Schmalz an dem Tag, an dem Mischkey seinen Unfall hatte, sich an der Hand verletzte, sich einen Hirnschlag holte und 221
    das Schachspielen vergaß, war nicht viel. Und daß er mit Lieferwagen rumgebastelt und das Mädchen am Bahnhof neben der Brücke einen komischen Lieferwagen gesehen hatte, war auch keine heiße Spur. Aber ich wollte es wissen.
    Durch die Fenster fiel wenig Licht. Ich sah die Um-risse von drei Kastenwagen. Ich ließ meine Taschenlampe aufleuchten und erkannte

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