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Selbs Justiz

Selbs Justiz

Titel: Selbs Justiz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Schlink , Walter Popp
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tüchtig und besorgt. Als ich wollte, daß sie sich noch ein bißchen auf den Bett-rand setzt, mußte sie weg.
    Ich schlief fast den ganzen Tag. Philipp rief an und bestätigte die Blutgruppe Null und den negativen Rhesusfaktor. Durch das Fenster drangen die Geräusche des Verkehrs auf der Augusta-Anlage und das Geschrei spielender Kinder in den Dämmer meines Zimmers. Ich erinnerte mich an Kinderkrankheitstage, an den Wunsch, mit den anderen Kindern draußen zu spielen, und zugleich den Genuß der eigenen Schwäche und der mütterlichen Verwöhnung. Ich rannte im fiebrigen Halbschlaf noch mal und noch mal vor dem hechelnden Schäferhund und Energie und Ausdauer davon. Ich holte die Angst nach, die ich gestern nicht gespürt hatte, 229
    weil alles zu schnell gegangen war. Ich fieberte Phantasien über Mischkeys Ermordung und Schmalz’ Motive.
    Gegen Abend ging es mir besser. Das Fieber war run-tergegangen, und ich war schwach, mochte aber die Rinderbrühe mit Nudeln und Gemüse essen, die Brigitte vorbereitet hatte, und danach eine Sweet Afton rauchen. Wie sollte die Arbeit an meinem Fall weitergehen?
    Mord gehört in die Hände der Polizei, und selbst wenn die rcw, was ich mir vorstellen konnte, den Schleier des Vergessens über den gestrigen Vorfall breiteten, würde ich von niemandem im Werk mehr irgend etwas erfahren. Ich rief Nägelsbach an. Er und seine Frau hatten schon zu Abend gegessen und waren im Atelier.
    »Natürlich können Sie noch vorbeikommen. Sie
    können auch ›Hedda Gabler‹ mithören, wir sind gerade beim dritten Akt.«
    Ich hängte einen Zettel an die Haustür, um Brigitte zu beruhigen, falls sie noch einmal nach mir schauen sollte. Die Fahrt nach Heidelberg war schlimm. Meine Langsamkeit und die Schnelligkeit des Autos kamen nur mühsam miteinander zurecht.
    Nägelsbachs wohnen in einem der Pfaffengrunder Siedlungshäuschen aus den zwanziger Jahren. Den Schuppen, ursprünglich für Hühner und Kaninchen gedacht, hat Nägelsbach zu seinem Atelier gemacht mit großem Fenster und hellen Lampen. Der Abend war kühl, und im schwedischen Eisenofen brannten ein paar Holzscheite. Nägelsbach saß auf seinem barhockerho-hen Stuhl an der großen Tischplatte, auf der die ›Betenden Hände‹ von Dürer streichhölzerne Gestalt gewan-230
    nen. Seine Frau las im Sessel neben dem Ofen vor. Es war die perfekte Idylle, die sich meinem Blick bot, als ich durch das hintere Gartentor direkt zum Atelier gekommen war und vor dem Anklopfen durch das Fenster sah.
    »Mein Gott, wie sehen denn Sie aus!« Frau Nägelsbach räumte mir den Sessel und setzte sich auf einen Schemel.
    »Sie müssen ja ganz schön was auf dem Herzen haben, wenn Sie in der Verfassung herkommen«, begrüßte mich Nägelsbach. »Stört es Sie, wenn meine Frau dabei ist? Ich sage ihr alles, auch aus dem Dienst. Die Ver-schwiegenheitsvorschriften sind nicht für kinderlose Ehepaare, die nur sich haben.«
    Während ich erzählte, arbeitete Nägelsbach weiter.
    Er unterbrach mich nicht. Am Ende meines Berichts schwieg er eine Weile, machte dann das Licht über seiner Arbeitsplatte aus, wandte sich mit seinem hohen Stuhl zu uns und sagte: »Sag Herrn Selb, wie die Dinge stehen.«
    »Die Polizei bekommt mit dem, was Sie eben erzählt haben, vielleicht einen Durchsuchungsbefehl für den alten Hangar. Darin findet sie vielleicht auch noch den Citroën. Aber nichts daran wird besonders und verdächtig sein, keine spiegelnde Folie, kein tödliches Triptychon mehr. Das war übrigens hübsch, wie Sie das beschrieben haben. Nun, und dann kann die Polizei ein paar Werkschutzleute verhören und die Witwe Schmalz und wen Sie sonst noch genannt haben, aber was soll dabei rauskommen?«
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    »So ist es, und natürlich kann ich Herzog besonders auf den Fall anspitzen, und er kann versuchen, seine Verbindung zum Werkschutz spielen zu lassen, nur ändern wird das nichts. Aber das wissen Sie doch alles, Herr Selb.«
    »Ja, da bin ich mit meinen Überlegungen auch angekommen. Trotzdem dachte ich, daß Ihnen vielleicht etwas einfällt, daß die Polizei vielleicht noch was machen kann, daß … Ach, ich weiß auch nicht, was ich dachte.
    Ich bin nicht damit zurechtgekommen, daß der Fall so zu Ende gehen soll.«
    »Hast du eine Idee zum Motiv?« Frau Nägelsbach wandte sich an ihren Mann. »Kann man darüber nicht noch weiterkommen?«
    »Ich kann mir bei dem, was wir bisher wissen, nur vorstellen, daß was schiefgelaufen ist. So in der Art der Geschichte, die du

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