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Selbs Justiz

Selbs Justiz

Titel: Selbs Justiz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Schlink , Walter Popp
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fliegt Ihnen Ihre Vergangenheit um die Ohren. Ich lasse mich nicht weiter unter Druck setzen, und schon gar nicht lasse ich mich noch mal zusammenschlagen.«
    »Ich hatte Sie mir intelligenter vorgestellt nach Selbs Bericht. Nach Ihrem Einbruch in unser System jetzt auch noch der Versuch einer Erpressung. Ich habe dazu nichts zu sagen.« Eigentlich hätte Korten in derselben Sekunde auflegen müssen. Aber die Sekunde verging, und Mischkey sprach weiter.
    »Die Zeiten sind vorbei, Herr Korten, wo es nur einen ss-Kontakt und eine ss-Uniform brauchte, um die Leute hin und her zu schieben, in die Schweiz und an den Galgen.« Mischkey legte auf. Ich hörte ihn tief Luft holen, dann das Knacken des Recorders. Die Musik setzte ein. »And the race is on and it looks like heart-ache and the winner loses all.«
    Ich schaltete das Gerät aus und hielt auf dem Seiten-streifen. Die Kassette aus Mischkeys Kabriolett. Ich hatte sie einfach vergessen.
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    Alles für die Karriere?
    Ich konnte nicht schlafen in dieser Nacht. Um sechs Uhr gab ich auf und machte mich daran, den Weihnachtsbaum aufzustellen und zu schmücken. Ich hatte mir Mischkeys Kassette wieder und wieder angehört.
    Zum Denken und Ordnen war ich am Samstag nicht in der Lage gewesen.
    Die dreißig leeren Sardinendosen, die sich angesam-melt hatten, legte ich ins Spülwasser. Sie sollten am Weihnachtsbaum nicht mehr nach Fisch riechen. Ich sah ihnen, die Arme auf den Rand des Spülbeckens gestützt, nach, wie sie auf den Grund sanken. Bei einigen war der Deckel beim Offnen abgerissen. Ich würde ihn ankleben.
    War es also Korten gewesen, der Weinstein die ver-steckten Unterlagen in Tybergs Schreibtisch hatte finden und melden lassen? Ich hätte das merken können, als Tyberg erzählte, daß nur er, Dohmke und Korten vom Versteck wußten. Nein, Weinstein hatte keinen zu-fälligen Fund gemacht, wie Tyberg meinte. Sie hatten ihm befohlen, die Unterlagen im Schreibtisch zu finden.
    Das war, was Frau Hirsch gesagt hatte. Vielleicht hatte Weinstein die Unterlagen auch nie gesehen; es ging ja nur um die Aussage, nicht um den Fund.
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    Als es draußen hell wurde, ging ich auf den Balkon und paßte den Weihnachtsbaum in den Ständer ein. Ich mußte sägen und mit dem Beil arbeiten. Die Spitze war zu lang; ich kappte sie so, daß ich ihr Ende mit einer Nähnadel wieder auf den Stamm pflanzen konnte. Dann stellte ich den Baum auf seinen Platz im Wohnzimmer.
    Warum? Alles für die Karriere? Ja, Korten hätte sich nicht so profilieren können, wenn Tyberg und Dohmke noch dagewesen wären. Tyberg hatte von den Jahren nach dem Prozeß als der Grundlage seines Aufstiegs gesprochen. Und Tybergs Befreiung war die Rückversicherung gewesen. Sie zahlte sich auch voll aus. Als Tyberg Generaldirektor der rcw wurde, katapultierte es Korten in schwindelnde Höhen.
    Das Komplott, für das ich den nützlichen Idioten abgegeben hatte. Eingefädelt und durchgeführt von meinem Freund und Schwager. Den nicht in den Prozeß ziehen zu müssen, ich auch noch froh gewesen war. Er hatte sich meiner überlegen bedient. Ich dachte an das Gespräch nach dem Umzug in die Bahnhofstraße. Ich dachte auch an die letzten Gespräche, die wir geführt hatten, im Blauen Salon und auf der Terrasse seines Hauses. Ich Seelchen.
    Meine Zigaretten waren zu Ende. Seit Jahren war mir das nicht mehr passiert. Ich zog Paletot und Galoschen an, steckte den Christophorus ein, den ich aus Mischkeys Wagen genommen hatte und der mir gestern auch wieder in den Sinn gekommen war, ging zum Bahnhof und dann bei Judith vorbei. Es war inzwischen später Vormittag. Sie kam im Morgenmantel an die Haustür.
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    »Was ist denn mit dir los, Gerd?« Sie sah mich erschreckt an. »Komm mit hoch, ich hab gerade Kaffee aufgesetzt.«
    »Seh ich so schlimm aus? Nein, ich komme nicht mit hoch, ich bin beim Weihnachtsbaumschmücken. Wollte dir den Christophorus vorbeibringen. Ich muß dir nicht sagen, wo er her ist, ich hatte ihn ganz vergessen und jetzt wiedergefunden.«
    Sie nahm den Christophorus und lehnte sich an den Türpfosten. Sie kämpfte mit den Tränen.
    »Sag mir noch, Judith, erinnerst du dich, ob Peter in den Wochen zwischen dem Ehrenfriedhof und seinem Tod mal für zwei, drei Tage weggefahren ist?«
    »Was?« Sie hatte mir nicht zugehört, und ich wieder-holte meine Frage.
    »Weggefahren? Ja, wie kommst du drauf?«
    »Weißt du, wohin?«
    »In den Süden, hat er gesagt. Um zu sich zu kommen, weil ihm alles zuviel war.

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