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Selbs Mord

Selbs Mord

Titel: Selbs Mord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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ein, ich weiß. Aber die beiden haben seit der Übernahme der Sorbischen Genossenschaftsbank mehr als genug Geld gemacht.«
    »Seit was?«
    »Nach der Wiedervereinigung hat das Bankhaus Weller & Welker die Sorbische Genossenschaftsbank übernommen, eine Ossi-Bank mit Zentrale in Cottbus und Filialen im Umland. Und die Übernahme ist ein Erfolg, und jede Investition wird aus tausend Töpfen gefördert, von Berlin bis Brüssel.«
    »Man geht auch höhere Risiken ein, wenn die Liebe oder der Haß …«
    »Nein, wir haben weit und breit keine Geliebte von ihm und keinen Geliebten von ihr gefunden. Die beiden haben sich von Kindesbeinen an geliebt und waren glücklich verheiratet. Haben Sie Bilder von ihr gesehen? Eine dunkle Schönheit mit Glut und Seele in den Augen. Gewiß, auch schöne Frauen, gerade schöne Frauen werden umgebracht. Aber nicht von ihren liebenden, glücklichen Ehemännern.«
    »Brigitte meint, daß sie sich einfach davongemacht hat.«
    »Das hat sich meine Frau auch gefragt.« Er lachte. »Die Offenbarung einer tiefen weiblichen Sehnsucht. Ja, sie hätte sich davonmachen können.«
    Ich wartete darauf, wie die Polizei der Möglichkeit nachgegangen war, was sich dabei ergeben hatte, für wie wahrscheinlich er die Möglichkeit hielt. Als nichts kam, fragte ich.
    »Sie kann sonstwo sein. Das wäre nicht die feine Art, ihn sitzenzulassen, aber letztlich ist keine Art, jemanden sitzenzulassen, fein.«
    Ich kenne Nägelsbach, seit er als Bote bei der Staatsanwaltschaft Heidelberg angefangen hat. Er ist ein ruhiger, ernsthafter, bedächtiger Polizeibeamter. Sein Hobby ist die Kunst des Streichholzbaus, vom Kölner Dom über Neuschwanstein bis zum Gefängnis Bruchsal. Immer wieder einmal erlebe ich ihn fröhlich, und über einen guten Scherz lacht er gerne. Dunkler Humor, Satire und Sarkasmus sind ihm fremd. »Was ist los?«
    Er wich meinem Blick aus und sah aus dem Fenster. Die Bäume waren noch kahl, aber ihre Knospen zum Platzen bereit. Er hob die Hände und ließ sie wieder sinken. »Ich soll zum Abschied das Bundesverdienstkreuz kriegen.«
    »Herzlichen Glückwunsch.«
    »Herzlichen Glückwunsch? Ja, zuerst habe ich mich auch gefreut. Aber …« Er holte tief Luft. »Wir haben einen neuen Chef, jung, energisch, effizient. Natürlich kennt er uns nicht so, wie uns der alte kannte. Aber wir interessieren ihn auch nicht. Er kommt zu mir und sagt: ›Herr Nägelsbach, Sie kriegen zum Abschied das Bundesverdienstkreuz, und wir brauchen ein paar Seiten, warum. Ich kenne Sie nicht, aber Sie kennen sich – schreiben Sie auf, warum Sie das Bändchen im Knopfloch verdienen.‹ Stellen Sie sich das vor!«
    »So sind neue junge Chefs heute eben.«
    »Ich habe ihm gesagt, daß ich das nicht mache. Er hat gesagt, es ist eine dienstliche Weisung.«
    »Und dann?«
    »Dann hat er gelacht und ist gegangen.«
    »Das mit der dienstlichen Weisung war eben nur ein dummer Scherz.«
    »Es ist alles nur ein dummer Scherz. Bundesverdienstkreuze, dienstliche Weisungen, die Jahre, die ich hier gesessen bin, die Fälle, an denen ich gearbeitet habe – zum Totlachen alles. Ich habe es nur zu spät begriffen. Hätte ich’s früher begriffen, hätte ich mehr Spaß haben können.«
    »Haben wir das nicht immer gewußt?«
    »Was?« Er war verletzt und voller Abwehr.
    »Daß wir im Leben mehr Spaß hätten haben können?«
    »Aber …« Er fuhr nicht fort. Er schaute wieder in die Bäume, dann auf den Schreibtisch, dann mich an. Er verzog seinen Mund zur Andeutung eines Lächelns. »Ja, vielleicht habe ich es immer gewußt.« Er schob den Stuhl zurück und stand auf. »Ich muß rüber. Haben Sie sich die Adresse vom alten Weller notiert? Das Augustinum im Emmertsgrund? Die anderen Eltern sind tot. Er hat übrigens keinen Alzheimer. Er tut nur manchmal so, wenn er eine Frage nicht mag.«

11
Schnelles Geld
    Der Emmertsgrund liegt oberhalb von Leimen am Hang. Die schönen Apartments im Augustinum gehen nach Westen und haben den Blick in die Rheinebene, wie die schönen Krankenzimmer im Speyerer Hof. Am Fuß des Bergs liegt eine Zementfabrik und stößt feinen, hellen Staub aus.
    Der alte Weller und ich saßen am Fenster. Er hatte die zwei Zimmer seines Apartments mit eigenen Möbeln eingerichtet und mir, ehe wir uns setzten, deren Geschichten erzählt. Er hatte mir auch von seinen Nachbarn, die er nicht mochte, dem Essen, das ihm nicht schmeckte, und den organisierten Aktivitäten, von Gruppentanz bis Seidenmalerei, die ihn nicht

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