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Selbs Mord

Selbs Mord

Titel: Selbs Mord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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aufgebaut und baut sie weiter aus – mit Hilfe von Studenten, denen sie ein Minimum zahlt. ›Mama‹, fragte sie neulich, ›meinst du, daß ich osteuropäische Germanistikstudenten einarbeiten könnte? Ich könnte meine Lohnkosten halbieren.««
    »Was hast du ihr gesagt?«
    »›Cool‹, habe ich gesagt, und ob sie nicht den Studenten dort die Computer stellen und sie, statt ihnen Lohn zu zahlen, die Computer abarbeiten lassen will. Alte Computer natürlich, die hier aussortiert werden, aber die dort brauchen keine modernen Computer.«
    »Und?«
    »Sie fand den Vorschlag spitze. Aber da fällt mir ein: Willst du nicht meinen Großen nach Straßburg schicken? Eine wirklich detektivische Arbeit ist es nicht, mehr eine historische, und Französisch spricht er nach drei Semestern in Dijon besser als ich. Er hat sein Examen, kriegt die Stelle als Arbeitsrichter erst im Mai und hat Zeit.«
    »Wohnt er noch im Jungbusch?«
    »Ja. Ruf ihn an!«

10
Zum Totlachen
    Am nächsten Tag habe ich gar nicht erst versucht, Welker zu erreichen. Ich habe statt dessen mit den Ermittlungen gegen ihn begonnen.
    »Natürlich haben wir eine Akte. Die Schweizer haben uns ihren Abschlußbericht geschickt, und auch wir haben unsere Nasen hier- und dahineingesteckt. Warten Sie.« Hauptkommissar Nägelsbach hatte sonst mehr gezögert, ehe er mich einen Blick in seine Akten tun ließ. »Fällt Ihnen nichts auf?« fragte er, als er die Akte geholt hatte und wieder hinter dem Schreibtisch saß.
    Ich schaute ihn an und sah mich um. Unter dem Fenster lehnte ein Stapel gefalteter Kartons. »Sie ziehen um?«
    »Es geht nach Hause. Ich packe die Sachen zusammen, die mir gehören und die ich mitnehme. Ich höre auf.«
    Ich schüttelte den Kopf.
    Er lachte. »Doch. Im April werde ich zweiundsechzig, und daß ich dann aufhöre, habe ich meiner Frau versprechen müssen, als die Pensionierung mit zweiundsechzig erfunden wurde. Und nächste Woche beginnt der Resturlaub. Hier!« Er schob die Akte über den Schreibtisch.
    Ich las. Bertram und Stephanie Welker wurden das letzte Mal an dem Morgen zusammen gesehen, an dem sie zur unbewirtschafteten Hütte oberhalb des Roseg-Gletschers aufstiegen. Am Nachmittag des nächsten Tages kam er allein in der unterhalb gelegenen Coaz-Hütte an. Er hatte am Morgen einen Zettel gefunden, auf dem seine Frau ihm schrieb, sie gehe über den Gletscher und treffe ihn um elf Uhr auf der Hälfte des Wegs, den er um den Gletscher herum nehmen wollte. Er war gleich aufgebrochen, hatte zunächst an der bezeichneten Stelle auf sie gewartet, sich dann auf den Gletscher gewagt und nach ihr gesucht und schließlich, so schnell er konnte, die untere, bewirtschaftete Hütte erreicht und die Bergwacht alarmiert. Die Suche dauerte mehrere Wochen.
    »Können Sie sich vorstellen, daß man auf einem Gletscher eine Leiche einfach nicht findet?«
    »Auf einem Gletscher? In einem Gletscher! Sie muß in eine der zahllosen Spalten gestürzt sein, und weil man nicht wußte, welche Route sie genommen hat, konnte man auch nicht so gezielt suchen, wie man es in anderen Fällen kann.«
    »Ist eine schauerliche Vorstellung, nicht? Die Frau liegt im Eis, behält die Schönheit ihrer Jugend, wird vielleicht eines fernen Tages gefunden, und dann tritt ihr greiser Mann an ihre Bahre und identifiziert sie.«
    »Das hat meine Frau auch gesagt und daß es in der Literatur eine ähnliche Geschichte gibt. Aber so schnell geht das nicht. Denken Sie an den Ötztaler Steinzeitmenschen, und denken Sie an die Soldaten von Hannibal, den deutschen Kaisern und Suwarow, an die Bernhardinermönche und die frühen britischen Bergsteiger. Die sind schon länger in den Gletschern abgeblieben und vor Frau Welker dran.«
    So kannte ich meinen alten Freund nicht. Ich muß ihn verwundert angeschaut haben.
    »Sie wollen wissen, ob ich meine, daß er sie umgebracht hat? Daß er ihren Zettel hatte, sagt nichts; der Zettel hatte kein Datum und konnte alt sein. Daß er völlig fertig war, als er in der unteren Hütte ankam, sagt auch nichts. Man muß schon ein Unmensch sein, wenn einem nicht die Nerven bloßliegen, nachdem man seine Frau umgebracht hat. Aber was für ihn spricht, ist der Umstand, daß ein Gletscher in der Nähe von St. Moritz nicht einmal am frühen Morgen verläßlich leer ist. Die Frau auf dem Gletscher in eine Spalte stoßen ist so sicher wie sie von einer Brücke auf die Autobahn schmeißen.«
    »Wenn es um genug Geld geht …«
    »… geht man höhere Risiken

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