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Selbs Mord

Selbs Mord

Titel: Selbs Mord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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interessierten, erzählt. Er konnte wegen seiner schlechten Augen nicht mehr Auto fahren, saß im Augustinum fest und war einsam. Ich glaube nicht, daß er mir geglaubt hat, ich sammelte Geld für den Volksbund Deutscher Kriegsgräber. Aber er war so einsam, daß ihm egal war, wer ich war. Außerdem waren wir beide im Polenfeldzug verwundet worden.
    Ich erfand einen Sohn, eine Schwiegertochter und einen Enkel, und er erzählte von seiner Familie und vom Tod seiner Tochter.
    »Kommen Ihr Schwiegersohn und Ihre Enkel nicht zu Besuch?«
    »Seit Stephanie tot ist, kommt er nicht mehr. Ich habe ihm keine Vorwürfe gemacht. Aber er hat ein schlechtes Gewissen. Und die Enkel sind im Internat in der Schweiz.«
    »Warum hat er ein schlechtes Gewissen?«
    »Er hätte auf sie aufpassen müssen. Und er hätte den Unsinn mit der Bank in der Ostzone lassen sollen.« Als er sich über seine Lebensumstände beschwert hatte, hatte er weinerlich geklungen. Jetzt redete er entschieden, und ich spürte, welche Autorität er ausgestrahlt haben mußte.
    »Ich dachte, daß sich unsere Banken in den neuen Ländern goldene Nasen verdienen.«
    »Junger Mann«, er war in meinem Alter und sagte tatsächlich junger Mann zu mir, »Sie kommen nicht aus dem Bankengeschäft, und Sie verstehen auch nichts davon. Unsere Bank hat überdauert, weil sie kleiner wurde, nicht größer. Wir verwalten Vermögen, beraten Anleger, haben Fonds und tun das auf hohem, internationalem Niveau. Die paar Schwetzinger, die bei uns noch Konten haben, passen eigentlich nicht mehr ins Bild. Wir betreuen sie aus Sentimentalität. Und die Kunden der Sorbischen Genossenschaftsbank passen auch nicht ins Bild, selbst wenn es viele sind und viel Kleinvieh auch Mist macht.«
    »Ihr Schwiegersohn sieht das anders?«
    »Der …« Er lachte kurz, ein verächtliches, meckerndes Lachen. »Ich weiß nicht, was er sieht und ob er sieht. Er ist ein begabter Junge, aber die Bank ist nicht seine Sache und war es nie. Er hat Medizin studiert, und Welker hätte ihn Arzt werden lassen sollen, statt ihn wegen der Familientradition ins Bankgeschäft zu drängen. Wegen der Familientradition – als ob, was jetzt läuft, noch was mit der Familientradition zu tun hätte! Es geht um schnelles Geld, um neue Freunde und neues Personal, und ob es das Anlage- und Fondsgeschäft überhaupt noch so gibt, wie Welker und ich es aufgebaut haben, weiß ich nicht. So weit ist es gekommen: Ich weiß es nicht.«
    Als ich ging, zeigte er mir ein Bild seiner Tochter. Es war nicht die üppige Schönheit, die ich mir nach der Photographie ihrer Großtante, die ich bei Schuler gesehen hatte, und nach Nägelsbachs Beschreibung vorgestellt hatte. Ein schmales Gesicht, glattes dunkles Haar, strenge Lippen und in den Augen zwar Glut und Seele, aber auch eine wache Intelligenz. »Sie war Bankkauffrau und hat Recht studiert. Sie hat alles geerbt, was unsere Familie an sechstem Sinn fürs Geld entwickelt hat. Wenn sie noch lebte, liefe es mit der Bank anders.« Er holte den Geldbeutel aus der Tasche und gab mir fünfzig Mark. »Für die Kriegsgräber.«
    Ich fuhr über Schwetzingen nach Hause. Die Bedienung im Café begrüßte mich wie einen alten Kunden. Es war halb vier, Zeit für Schokolade und Marmorkuchen und am Freitag auch für den Feierabend des Bankhauses Weller & Welker. Um vier kamen die vier jungen Frauen aus der Bank. Sie standen einen Moment zusammen, verabschiedeten sich und gingen zwei am Schloßgraben entlang und zwei in Richtung Bahnhof. Um halb fünf kamen die drei jungen Männer und gingen am Schloßgraben entlang in die andere Richtung. Ich ließ einen Zwanzigmarkschein auf dem Tisch liegen, winkte der Bedienung und folgte ihnen. Sie liefen weit, am Meßplatz vorbei und unter der Eisenbahn durch in ein Viertel mit Kabellager und Autowaschanlage, Bau- und Getränkemarkt. Dort betraten sie ein siebenstöckiges Hotel, und ich konnte sehen, wie ihnen an der Rezeption Zimmerschlüssel ausgehändigt wurden.
    In meinem Büro blinkte am Anrufbeantworter das Lämpchen. Georg hatte meine Nachricht gefunden und wollte vorbeikommen; ob Sonntag oder Montag recht sei? Brigitte hatte Lust auf Kino am Samstag abend. Der dritte Anruf war von Schuler. »Tut mir leid, wenn ich neulich am Telephon unwirsch war.
    Inzwischen habe ich mit Bertram und Gregor gesprochen und weiß, daß Sie nichts Schlechtes über mich gesagt haben. Bertram hatte einfach viel um die Ohren, hat sich aber für heute abend bei mir angesagt. Und

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