Selbs Mord
wollen Sie nicht auch einmal wieder bei mir vorbeischauen? Vielleicht nächste Woche? Vielleicht Montag?« Er lachte, aber es war kein fröhliches Lachen. »Steckt doch noch Leben im alten Dachs. Er hat eine Gans gefangen.«
12
Randvoll
Am Wochenende versicherte uns der Frühling, er sei ernstlich gekommen, werde bleiben und sich von keinem Schnee und keinem Eis mehr vertreiben lassen. Im Luisenpark standen die Liegestühle auf den Wiesen, und in eine Decke eingehüllt schlief ich, als wäre die Welt heil und mein Herz gesund. Als Brigitte und ich aus dem Kino kamen, schien der Vollmond in die Straßen und auf die Plätze. Auf den Planken spielten ein paar Punks mit einer Bierdose Fußball, die Penner vor dem Stadthaus ließen den Rotwein kreisen, und unter den Lauben im Rosengarten schmusten die Liebespaare. »Ich freue mich auf den Sommer.« Brigitte legte den Arm um mich.
Mit Georg aß ich am Sonntag im Kleinen Rosengarten zu Mittag. Er wollte gerne in Straßburg in alten Adreß- und Telephonbüchern, Rechtsanwalts- und Notarkammerunterlagen und Vorlesungsverzeichnissen nach dem stillen Teilhaber fahnden und gleich am Montag dorthin aufbrechen. Ich ernannte ihn zum Hilfsdetektiv und bestellte Champagner, aber er mochte nur alkoholfreies Bier trinken. »Du trinkst zuviel, Onkel Gerd.«
Am Abend saß ich noch mal in meinem Büro über der Geschichte des Bankwesens. Auch der Sorbischen Genossenschaftsbank war ein Absatz gewidmet. Sie war ein Unikum. Genossenschaftsbanken entstanden eigentlich als Selbsthilfeeinrichtungen von Berufsgruppen. Schulze-Delitzsch wollte mit den Volksbanken die Handwerker zu Genossen machen, Raiffeisen die Bauern. Der Cottbusser Hans Kleiner, der die Genossenschaftsbank 1868 gründete, wollte den Genossenschaftsgedanken dagegen für die Stärkung der slawischen Minderheit der Sorben fruchtbar machen. Seine Mutter war Sorbin, trug sorbische Tracht, erzählte dem kleinen Hans sorbische Märchen und lehrte ihn sorbische Lieder, und so machte er die Sache der Sorben zur Aufgabe seines Lebens. Zu seinen Lebzeiten hatte die Bank nur sorbische Genossen, nach seinem Tod ließ sie auch andere zu, expandierte und florierte und überlebte die Inflation und die Weltwirtschaftskrise. Dann war es um sie geschehen; die Nazis hatten mit den Sorben nichts im Sinn und wandelten die Bank in eine normale Volksbank um.
Wann und wie die Sorbische Genossenschaftsbank sich von diesem Schlag erholen würde, hatte Zeit bis morgen. Weller & Welker hatte sie übernommen, also hatte sie sich erholt und gab es ein Happy-End. Den Genossenschaftsgedanken fand ich auf dem nächtlichen Heimweg so einleuchtend, daß mir das übliche Streben der Banken und Bankiers nach mehr und mehr Geld auf einmal seltsam vorkam. Warum dieses Häufen von Geld auf Geld? Weil sich der kindliche Sammeltrieb im Erwachsenenalter nicht mehr an Murmeln, Bierdeckeln und Briefmarken befriedigen darf und daher an Geld befriedigen muß?
Wieder saß ich am nächsten Morgen im Büro am Schreibtisch, ehe die Schulkinder unterwegs waren. Der Bäcker ein paar Häuser weiter hatte schon auf, und vor mir dampfte eine Tasse Kaffee zum Hörnchen. Die Geschichte der Sorbischen Genossenschaftsbank war nicht mehr lang. Während die anderen Volksbanken durch sowjetischen Befehl geschlossen wurden, wurden die in und um Cottbus als Sorbische Genossenschaftsbank weiter betrieben. Das war nicht mehr als ein eigener Name; die Bank fiel voll und ganz in das System der volkseigenen Sparkassen. Aber den eigenen Namen behielt sie; der Respekt für das slawische Volk der Sorben, Brudervolk des siegreichen Sowjetvolks, verbot seine Abschaffung. Und mit dem eigenen Namen ging genug Eigenständigkeit einher, daß die Treuhand die Sorbische Genossenschaftsbank selbständig anbot und schließlich an Weller & Welker verkaufte.
Es war neun Uhr, der morgendliche Verkehr auf der Augustaanlage war ruhig geworden. Ich hörte Kinder, die aus irgendeinem Grund erst später in die Schule mußten. Dann hörte ich ein Auto am Straßenrand anhalten und mit laufendem Motor stehen bleiben. Nach einer Weile ärgerte mich das Geräusch, ein penetrantes Bollern und Tuckern. Warum stellte der Mensch nicht den Motor ab. Ich stand auf und sah aus dem Fenster.
Es war Schulers grüne Isetta. Die Tür stand auf, und der Wagen war leer. Ich trat aus dem Büro auf den Bürgersteig. Schuler stand am Eingang des Nachbarhauses und las die Namensschilder neben den Klingelknöpfen. »Herr Schuler«,
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