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Selbs Mord

Selbs Mord

Titel: Selbs Mord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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doch immer drängender, und …« Er deckte die Sprechmuschel ab, und die Leitung rauschte wie die Muschel vom Timmendorfer Strand, an der mich meine Mutter, als ich klein war, das Meer hören ließ, und dazwischen hörte ich Wortfetzen, die ich nicht verstand. Dann sprach Samarin weiter. »Wir wissen, daß Herr Schuler bei Ihnen war. Daß er Geld bei Ihnen deponiert hat. Auch Sie müssen helfen, daß sein Ansehen nicht durch eine einmalige Torheit ruiniert wird. Das Geld gehört zurück in die Bank. Also morgen um drei.«
    Ich war auch des Spiels müde, das Welker und Samarin spielten. Ich rief weder den einen noch den anderen an. Ich nahm mir vor, am nächsten Morgen Georg in Straßburg anzurufen und nach ersten Ergebnissen zu fragen. Ich nahm mir auch vor, mit Nägelsbach an seinem letzten Tag in der Polizeidirektion zu telephonieren. Daß ich von einem Fiesta beschattet worden war, hatte ich am Ende vergessen.

14
Nicht mit leeren Händen
    Aber der Fahrer des Fiesta hatte mich nicht vergessen. Am nächsten Morgen um halb neun stand er vor meiner Wohnungstür und klingelte. Er klingelte mehrmals. Später erklärte er mir, er sei ein besonders rücksichtsvoller Mensch; er habe mehrmals geklingelt, obwohl er die Tür mit Leichtigkeit hätte öffnen können. Das Schloß sei ein Witz.
    Er stand vor meiner Wohnungstür wie ein Hausierer, das Gesicht zugleich herausfordernd und hoffnungslos und die Haltung lauernd. Er mochte fünfzig Jahre alt sein, war nicht groß und nicht klein, nicht dick und nicht dünn, hatte Backen voller geplatzter Äderchen und schütteres Haar. Er trug eine Hose aus schwarzer Kunstfaser, hellgraue Slipper, ein hellblaues Hemd mit dunkelblauer Paspel an Tasche und Knopfleiste und einen offenen Anorak. Der Anorak war ebenso beige wie der Fiesta.
    »Also Sie waren das.«
    »Ich?«
    »Sie haben mich gestern beschattet.«
    Er nickte. »Ihr Manöver bei Schwetzingen war nicht schlecht. Aber ich wußte, wohin Sie wollten. Sind Sie einfach runter von der Autobahn? Sozusagen über die grüne Grenze?« Er redete mit gönnerhafter Freundlichkeit. »Und der blaue Mercedes? Ist er Ihnen über die grüne Grenze gefolgt?«
    Ich wollte mir nicht anmerken lassen, daß ich nicht wußte, wovon er redete.
    Aber er sah es mir an. »Na, so was. Sie haben ihn gar nicht bemerkt. Und mich haben Sie erst gestern bemerkt.«
    »Am liebsten würde ich Sie auch heute nicht bemerken. Was wollen Sie?«
    Er schaute verletzt. »Warum reden Sie so mit mir? Ich habe Ihnen nichts getan. Ich wollte nur …«
    »Ja?«
    »Sie sind … Ich bin …«
    Ich wartete.
    »Sie sind mein Vater.«
    Ich bin langsam, schon immer, und mit den Jahren werde ich nicht schneller. Meine Emotionen reagieren oft verspätet, und ich merke erst am Mittag, daß mich am Morgen jemand beleidigt hat, und erst am Abend, daß jemand mir beim Mittagessen etwas Nettes gesagt hat, worüber ich mich hätte freuen können. Ich habe keinen Sohn. Aber ich habe mein Gegenüber weder ausgelacht noch ihm die Tür vor der Nase zugemacht, sondern ihn ins Wohnzimmer gebeten, auf das eine Sofa gesetzt und mich auf das andere.
    »Sie glauben mir nicht?« Er nickte. »Ja, Sie glauben mir nicht. Wir existieren für Sie nicht.«
    »›Wir‹? Habe ich noch mehr Kinder?«
    »Sie müssen sich nicht lustig machen.« Er erzählte, daß er in oder nach der Wende seine Akte in die Hände bekommen und darin gefunden hatte, daß er adoptiert und daß seine wahre Mutter Klara Selb aus Berlin war.
    »Was für eine Akte?«
    »Meine Kaderakte.«
    »Kader …?«
    »Ich war beim Ministerium für Staatssicherheit, und ich bin stolz darauf. Ich habe Schwerkriminalität ermittelt, und wir hatten Aufklärungsquoten, von denen ihr nur träumen könnt. Nein, bei uns war nicht alles schlecht, und ich lasse es nicht schlechtmachen und mich auch nicht.«
    Ich fuchtelte abwiegelnd mit den Händen. »Wann sind Sie geboren?«
    »Am 9.3.1942. Sie überfielen gerade mit der faschistischen Wehrmacht die Sowjetunion.«
    Ich rechnete. Am 9.3.1942 lebte ich in Heidelberg im Hotel, hatte Polenfeldzug, Verwundung und Lazarett hinter mir, meinen Assessor gemacht und bei der Staatsanwaltschaft angefangen. Weil ich noch keine Wohnung gefunden hatte, lebte Klara bei ihren Eltern in Berlin. Oder reiste sie mit ihrer Freundin Gigi durch Italien? Oder versteckte sie sich irgendwo und brachte ein Kind zur Welt? Ich hätte gerne Kinder gehabt. Aber nicht das, das am 9.3.1942 geboren wurde. Vom Mai bis zum August 1941

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