Selbs Mord
Hundertmarkscheinen.
13
Beschattet
Nein, ich habe mir nicht überlegt, die Scheine in meine Reisetasche zu packen, ein paar Hemden und Hosen, Pullover, Leibwäsche, Zahnbürste und Rasierapparat dazuzulegen, zum Frankfurter Flughafen zu fahren und nach Buenos Aires zu fliegen. Oder auf die Malediven, Azoren oder Hebriden. Ich finde schon mein Leben in Mannheim ziemlich kompliziert. Wie soll es anderswo gehen, wo ich nicht einmal die Sprache spreche?
Ich habe für das Geld auch kein Versteck gesucht. Unter der Folter würde ich es ohnehin preisgeben. Ich habe den Rolladen meines Aktenschranks heruntergelassen, die wenigen alten Akten in ein Fach gestapelt, zwischen den anderen Fächern die Böden herausgenommen und so Platz für den Koffer gemacht. Dann habe ich den Rolladen wieder hochgezogen.
Ich habe das Geld auch nicht gezählt. Es war eine Menge. Genug, jemandem dafür einen tödlichen Schrecken einzujagen. Wenn ich an die Begegnung mit Schuler auf dem Bürgersteig dachte, an seinen Gang, sein Fuchteln, seine Grimassen, seine Sprache, dann war mir, als sei er zu Tode erschreckt worden.
Nägelsbach klang am Telephon nicht glücklicher als bei meinem Besuch. »Was denn nun, Unfall oder Mord? Sie wissen doch, daß da verschiedene Abteilungen zuständig sind.«
»Ich möchte nur wissen, wann Schuler in die Gerichtsmedizin kommt.«
»Weil Sie dann Ihren Freund von den Städtischen Krankenanstalten anrufen, der die Gerichtsmedizin anruft – was machen Sie eigentlich selbst? Was mich angeht … Am Dienstag … meine Frau … ich … Also morgen ist mein letzter Arbeitstag, und am Abend gibt es bei uns ein kleines Abschiedsfest, und wir würden uns freuen, wenn Sie kämen, Sie und Ihre Freundin. Kommen Sie?«
Er klang, als fürchte er, zu dem Fest käme niemand. Ich hatte seine Frau und ihn immer erlebt, als bräuchten sie eigentlich keine Freunde, als seien sie einander genug, und manchmal darum beneidet. Sie saßen im Atelier, er baute aus Streichhölzern den Münchener Justizpalast, sie las den Prozeß von Kafka vor, und vor dem Schlafengehen tranken sie noch einen Schluck Wein. Funktionieren eheliche Symbiosen nur bis zur Pensionierung?
Auf der Fahrt nach Schwetzingen wurde ich beschattet. Schon auf dem Weg vom Büro um zwei Ecken zum Auto hatte ich das Gefühl, mir folge jemand. Aber wenn ich mich umdrehte, war da niemand, und Gefühle können täuschen, auch wenn Brigitte meint, sie sprächen immer die Wahrheit und nur Gedanken würden lügen. Auf der Autobahn war nicht viel los. Der beige Fiesta, den ich vom Mannheimer Kreuz an im Rückspiegel sah, überholte mich zwar, als ich bei Pfingstberg auf dem Seitenstreifen anhielt, fuhr weiter und verschwand hinter der nächsten Biegung. Aber als auch ich weiterfuhr, hinter der nächsten Biegung einen Lastwagen überholte und in den Rückspiegel sah, war er wieder hinter mir. Ich wiederholte das Spiel wenige hundert Meter vor der Abfahrt Schwetzingen. Als er mich überholte, heftete ich mich an seine Fersen, bis er die Abfahrt nahm, fuhr weiter und holperte ein paar Kilometer hinter Brühl über die Böschung auf einen Feldweg.
Daß vor Schulers Haus ein Polizeiwagen stand, wunderte mich nicht. Vor dem alten Lager stand keiner. Ich klingelte, kam ins Haus, kriegte die Tür zum Archiv aber nicht auf. Als ich im Auto losfuhr, hatte ich wieder den Fiesta im Rückspiegel.
Ich war müde. Ich war der Welt müde, in der ein harmloser, aktenseliger, schlechtriechender alter Mann mir nichts, dir nichts zu Tode erschreckt wurde. In der es zu viele gebrauchte Fünfzig- und Hundertmarkscheine gab. In der jemand in mein Büro spazierte und mir in einem beigen Fiesta folgte, von dem ich nicht wußte, wer er war und was er wollte. In der ich mit meinem Auftrag nicht im reinen war. Mein Auftrag interessierte mich nicht und konnte eigentlich auch meinen Auftraggeber nicht interessieren. Was mich statt dessen interessierte, waren mein Auftraggeber selbst, der Tod seiner Frau und der seines Archivars. Daran, daß ich mich dafür interessierte, hatte natürlich mein Auftraggeber kein Interesse. Aber woran hatte er Interesse? Und warum hatte er mir einen Auftrag gegeben, der ihn eigentlich nicht interessieren konnte?
Die Nachricht auf meinem Anrufbeantworter klang, als hätte Welker meine Gedanken gelesen. »Guten Tag, Herr Selb. Können Sie morgen vorbeikommen? Ich habe länger nicht von Ihnen gehört und wüßte gerne, wie es vorangeht und wo wir stehen. Die Sache wird nun
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