Selbs Mord
war ich im Warthegau und mit Klara nicht eine einzige Nacht zusammen.
Ich schüttelte den Kopf. »Es tut mir leid, aber …«
»Ich wußte das. Ich wußte, daß Sie den Kopf schütteln und sagen würden: Es tut mir leid, aber ich habe mit Ihnen nichts zu schaffen. Von Brüdern und Schwestern reden – das habt ihr gekonnt, aber Brüder und Schwestern haben – da schüttelt ihr den Kopf und hebt die Hände.« Er schüttelte den Kopf und hob die Hände, wie wir es in seiner Vorstellung taten. Er wollte höhnisch klingen, klang aber verzagt.
Ich hätte nicht sagen sollen, daß es mir leid tat. Es tat mir nicht leid, daß ich nicht sein Vater war. Außerdem provozierte meine Entschuldigung weitere Anschuldigungen, auf die wieder mein Entschuldigungsreflex reagierte. Ich war drauf und dran, für alle Unbilden um Entschuldigung zu bitten, die der Westen dem Osten zugefügt und die er ihm nicht zugefügt hatte.
»Dabei komme ich nicht mit leeren Händen. Sie haben den blauen Mercedes nicht bemerkt, als Sie nach Schwetzingen fuhren, und Sie haben ihn vermutlich auch am Morgen nicht bemerkt.« Er sah das Interesse in meinem Gesicht. »Jetzt möchten Sie mehr wissen. Ich will Ihnen auch mehr sagen. Der Mercedes kam, als der Alte Ihnen den Koffer gegeben hatte und ins Auto stieg. Er hielt, und nach dem Kladderadatsch stieg der Beifahrer aus und sah sich zuerst in Ihrem Büro und dann beim Auto des Alten um. Was er gesucht hat, muß ich Ihnen nicht sagen.«
»Wissen Sie auch, wer die Männer waren?«
»Ich weiß nur, daß der Mercedes ein Berliner Kennzeichen hatte. Aber ich werde es herausfinden. Wenn wir jetzt zusammenarbeiten, Sie und ich, ich meine, wo wir doch beide vom Fach sind und Sie nicht … nicht mehr lange …« Er stockte.
Er wollte tatsächlich mein Geschäft übernehmen, der Sohn vom Vater. Nicht sofort, aber nach einer Übergangszeit, in der wir »Private Ermittlungen. Gerhard Selb & Sohn« firmieren würden. Ich schlug ihm nicht »Gerhard Selb & Klara Selbs Sohn« vor. Ich machte ihm nicht klar, daß er vielleicht der Sohn meiner gestorbenen Frau, aber keinesfalls mein Sohn war. Ich wollte mit ihm nicht vertraulich werden, nicht über meine Ehe reden, mich nicht offenbaren und Klara nicht bloßstellen. Am Ende war unsere Ehe leer. Aber damals, als ich in Heidelberg bei der Staatsanwaltschaft angefangen hatte und Klara bald nachziehen sollte, war unsere Ehe jung und, wie ich dachte, voller Zauber gewesen und hatte Glück und Bestand versprochen. Es ließ mich nicht kalt, daß da ein anderer gewesen war, mit dem Klara ein Verhältnis gehabt und von dem sie ein Kind gekriegt hatte. Jemand, der sie nicht einmal so liebte, daß er auf ihrer Scheidung bestanden und sie geheiratet hätte. Oder war er gefallen? Mir kam ein befreundeter Offizier in Erinnerung, über den Klara zunächst viel gesprochen hatte und dann nicht mehr und der vor Moskau gefallen war. Ich suchte im Gesicht meines Gegenübers nach dessen Zügen, fand aber nichts.
»Wie heißen Sie?«
»Karl-Heinz Ulbrich, mit Bindestrich und ohne t.«
»Wo wohnen Sie?«
»Im Kolpinghaus in der … R 7 heißt die Adresse. So was Verrücktes! So nennt man Zigaretten, aber doch nicht Straßen.« Er schüttelte entrüstet den Kopf.
Ich verzichtete darauf, ihm die Mannheimer Quadrate zu erklären. Ich fragte ihn auch nicht, ob er sich als alter Kommunist nicht schäme, im Kolpinghaus zu übernachten.
Als wäre nicht alles schon schlimm genug, kam Turbo von einem Streifzug über die Dächer zurück, sprang vom Fenstersims aufs Sofa und strich beim Weg in die Küche Karl-Heinz Ulbrich um die Füße. Der machte »tsstss«, schaute zufrieden hinter Turbo her und mich triumphierend an, als hätte er immer gewußt und wäre endlich bewiesen, daß im Westen die Tiere besser sind als die Menschen. Zum Glück sagte er’s nicht.
Er stand auf. »Ich gehe jetzt wohl besser. Aber ich komme wieder.« Er wartete nicht auf einen Gruß von mir, sondern ging durch den Flur zur Tür, machte sie auf und von außen behutsam wieder zu.
15
Ohne Beichte keine Absolution
Ich rief in Straßburg an. Aber ich erreichte Georg nicht, und ohnehin würde er nach einem knappen Tag vor Ort noch nicht viel berichten können. Also mußte ich mit dem auskommen, was ich von Schuler wußte.
Aber der Jurist in Straßburg, dessen Vor- oder Nachname mit C, L oder Z begann, ließ Welker und Samarin kalt. Als ich ihnen gegenübersaß und meinen Bericht gab, schaute Samarin offen gelangweilt
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