Selbs Mord
ging, an die Öffnung der Flasche hielt, wandte er den Kopf ab. »Los«, sagte ich.
Als ich ihn wieder angezogen hatte, sah er mich an. »Danke.« Nach einer Weile fragte er: »Wen soll ich umgebracht haben?«
»Tun Sie nicht so. Zuerst Welkers Frau und dann … Ich kann es nicht beweisen. Aber ich bin sicher, daß jemand Schuler einen tödlichen Schrecken eingejagt hat. Ob Sie selbst es waren oder Ihre Mafiosi – ist das nicht egal?«
»Ich kannte Stephanie, seit ich ein kleiner Junge war. Schuler hat mir Lesen, Schreiben, Rechnen und Heimatkunde beigebracht. Der keltische Ringwall auf dem Heiligenberg, die Römerbrücke über den Neckar, die von Mélac angezündete Heilig-Geist-Kirche.«
»Das macht die Morde nicht besser.«
Er wartete wieder eine Weile, ehe er fragte: »Was soll ich mit der Mafia zu tun haben?«
»Ach, machen Sie mir nichts vor. Daß Sie für die russische Mafia Geld waschen, ist doch kein Geheimnis mehr.«
»Das macht mich und meine Leute zu Mafiosi?« Er schnaufte verächtlich. »Sie haben wirklich keine Ahnung. Meinen Sie, Welker würde noch leben, wenn wir die russische Mafia wären? Oder Sie? Oder die Hanswurste, die mich eingesackt haben? Ich bin unter der Fuchtel von Weller & Welker aufgewachsen und begebe mich nicht noch mal unter eine Fuchtel. Ja, ich wasche Geld. Ja, mir ist egal, für wen ich’s wasche – wie jedem Banker. Ja, meine Leute sind Russen und Profis. Und ich«, er schnaufte noch mal nachdrücklich, »bin mein eigener Herr.«
Er schloß die Augen. Als ich schon dachte, er werde nichts mehr sagen, sagte er:
»Nein, ich habe die Familien nicht gemocht, nicht die Familie Weller und nicht die Familie Welker. Bertrams Großvater und Stephanies Mutter hatten Herz. Aber Bertrams Vater … und Bertram … die beiden hätte ich umbringen sollen.«
»Hat Bertrams Vater Sie nicht großgezogen?«
Er lachte. »Sibirien wäre besser gewesen.«
»Was ist mit Welkers Kindern?«
»Was soll sein. Niemand hat ihnen ein Haar gekrümmt. Sie denken, meine Leute sind ihre Leibwächter, geben mit ihnen an, und die Kleine flirtet mit ihnen.«
»Rufen Sie Ihre Leute an? Damit sie sich mit den Kindern auf den Weg machen?«
Er nickte langsam. »Sie sollen gleich aufbrechen. Dann kann der Austausch noch heute nacht stattfinden. Ich mag hier nicht länger liegen.«
Ich fand sein Handy, wählte die Nummer, die er mir nannte, und hielt das Handy an sein Ohr. »Reden Sie deutsch!«
Er gab knappe Anweisungen. Dann wollte er von mir wissen: »Wo soll der Austausch sein?«
»Das kriegen Sie gesagt, wenn Ihre Leute hier sind. Bis wann schaffen sie es?«
»In fünf Stunden.«
»Gut, dann reden wir in fünf Stunden wieder.«
Ich fragte ihn, ob ich das Licht anlassen oder ausmachen solle. Er wollte im Dunkeln liegen.
6
Na dann
Ich hatte wieder Fieber und ließ mir von der Nachtschwester zwei Aspirin geben. »Sie sehen nicht gut aus. Gehen Sie doch nach Hause und legen sich ins Bett!«
Ich schüttelte den Kopf. »Kann ich hier ein paar Stunden schlafen?«
»Wir haben am anderen Ende des Gangs eine zweite Abstellkammer. Ich stelle Ihnen ein Bett hinein.«
Als ich lag, gingen meine Gedanken zu Samarin. War die Luft bei ihm genauso stickig wie bei mir? Fühlte auch er die Enge des Raums? Hörte auch er das Summen der Heizung? Die Kammer hatte kein Fenster und war stockdunkel. Ich hielt meine Hände vor mein Gesicht, aber sah sie nicht.
Manchmal denke ich, eine Sache wäre vorbei, aber in Wahrheit geht sie erst richtig los. So war es mir am Morgen passiert, als Welker und Samarin mich ans Auto brachten. Manchmal denke ich auch, ich wäre in einer Sache mittendrin, und in Wahrheit ist sie schon vorbei. War, was wir in der Nacht zu Ende bringen wollten, in Wahrheit schon gelaufen? Natürlich war es noch nicht geschehen. Aber waren die Rollen schon so verteilt, die Einsätze schon so gegeben, daß das Geschehen, was immer wir überlegen und verabreden mochten, nur noch in einer Weise ablaufen konnte?
Es war nur ein Gefühl. Eine Angst. Die Angst, wieder zu langsam zu sein und nicht schnell genug zu merken, was in Wahrheit geschah. So ging ich denn noch mal alles durch: was Welker wollte und was Samarin, was beide bestenfalls kriegten und schlimmstenfalls verloren, womit sie einander und auch uns andere vielleicht überraschen könnten.
Darüber schlief ich ein. Um Mitternacht weckte mich die Nachtschwester. »Die anderen sind zurück.«
Philipp, Nägelsbach und Welker saßen im
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