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Selbs Mord

Selbs Mord

Titel: Selbs Mord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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Schwesternzimmer und besprachen, wo der Austausch stattfinden sollte. Welker wollte einen versteckten, verschwiegenen Ort, am liebsten am Stadtrand.
    Nägelsbach war für einen offenen, hellen Platz oder eine Straße mitten in der Stadt. »Ich will die anderen sehen!«
    »Um sicherzugehen, daß sie keinen Hinterhalt legen? Wir sagen, wo und wann wir uns treffen. Wir geben die Zeit so vor, daß sie keinen Hinterhalt legen können.«
    »Aber wo es hell und offen ist …«
    »Wir sollten beim Austausch einen oder auch zwei von uns in Reserve haben, die alles sehen, aber nicht gesehen werden können. Die, wenn nötig, überraschend eingreifen können.«
    Wir wählten den Luisenpark. Es gab dort Bäume und Gebüsch zum Verstecken und zugleich eine weite Rasenfläche. Die anderen sollten die Werderstraße hochfahren, und wir würden mit Samarin von der Lessingstraße kommen. In der Mitte des Parks würde der Austausch stattfinden.
    »Machen wir ihn, Philipp? Während Sie beide in Reserve bleiben?« Ich entschied, und die anderen nickten. Nägelsbach war auch bereit, wieder die Uniformjacke und -mütze anzuziehen. »Vielleicht sind wir froh, wenn wir so tun können, als wäre die Polizei auf unserer Seite.«
    Dann konnten wir nur noch warten. Der alte, große, mechanische Wecker im Schwesternzimmer hackte die Zeit klein. Nägelsbach hatte zwei Schachteln mit Streichhölzern gefunden und baute ein Türmchen, immer zwei Hölzer längs und zwei quer und die Köpfe gleichmäßig in alle Richtungen. Welker hatte die Augen geschlossen; sein Gesicht war angespannt, als arbeite er konzentriert an einer komplizierten Rechenaufgabe. Philipp freute sich auf den Austausch wie auf ein Abenteuer.
    Ich ging in die Abstellkammer, machte Licht an, und Samarin sprach mit seinen Leuten. »Sie stehen seit zehn Minuten in der Augustaanlage.«
    »Sagen Sie ihnen, sie sollen dort warten, bis sie weitere Anweisungen bekommen.«
    Danach schnallte ich ihn los und half ihm vom Bett.
    »Und was ist damit?« Er schaute auf die Zwangsjacke, die ihm die Arme vor der Brust fesselte.
    Ich hängte ihm seinen Mantel über die Schultern. »Die Jacke können Ihre Leute Ihnen gleich abmachen.«
    Sogar in der Zwangsjacke sah er gefährlich aus. Als könne er mich mit seinem massigen, kräftigen Körper an der Wand zerquetschen. Ich hielt Abstand zu ihm, bis wir am Auto waren. Er sagte kein Wort, nicht als er die anderen sah, darunter Nägelsbach in Uniform, nicht als Nägelsbach und ich ihn zwischen uns auf die Rückbank nahmen, nicht während der Fahrt.
    Wir parkten in der Lessingstraße, und Welker und Nägelsbach stiegen aus und gingen los. Ich erklärte Samarin, wo seine Leute halten und mit den Kindern in den Park gehen sollten, und er gab es weiter.
    Dann stiegen auch wir aus und warteten am Eingang zum Park, Philipp auf der rechten und ich auf der linken Seite von Samarin. Ich sah Nägelsbach und Welker nicht. Aber ich sah das Gebüsch am anderen Ende des Parks, wo sie sich verstecken wollten. Es war Halbmond, hell genug, um die Büsche, Bäume und Bänke deutlich zu erkennen. Die weite Rasenfläche schimmerte grau. Ich hatte wieder die Angst, etwas übersehen zu haben, und versuchte, noch mal alles durchzugehen. Wir würden Samarin losschicken, und sie würden die Kinder losschicken. Oder würden sie Philipp und mich einfach erschießen? Würden sie sich gar nicht zur Übergabe einfinden, sondern uns beobachten und warten, bis wir erschöpft und mit bloßen Nerven abzögen, und dann zuschlagen? Würden sie … Aber das Fieber ließ mich nicht klar denken. Auf einmal fand ich die Situation unwirklich bis zur Lächerlichkeit. Irgendwo da vorne lauerten Nägelsbach und Welker, zwei Kinder, bereit, plötzlich hervorzuspringen, »huh« zu rufen und die anderen zu erschrecken. Neben mir stand Samarin wie ein Bär mit einem Ring in der Nase und einer Kette am Ring; es hätte mich nicht gewundert, wenn ich es bei jeder Bewegung hätte klirren hören. Philipp sah zugleich gespannt und zufrieden in die Dunkelheit, wie ein Jäger auf dem Anstand.
    Auf der anderen Seite des Parks leuchteten zuerst die Scheinwerfer auf. Dann hielt der große Wagen, zwei Männer stiegen aus, machten die Hintertüren auf und halfen einem Jungen und einem Mädchen hinaus. Sie gingen los und wir gingen los. Außer unseren Schritten auf dem Schotter war nichts zu hören.
    Als wir zwanzig Meter voneinander entfernt waren, sagte ich zu Samarin: »Sagen Sie ihnen, sie sollen stehenbleiben

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