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Selbs Mord

Selbs Mord

Titel: Selbs Mord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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und das Unternehmen gewann Gestalt. Frau Nägelsbach schaute ihm stolz zu. Auch ich war stolz auf meine Freunde. Mit welcher Ruhe, Konzentration und Autorität Philipp bei der Sache war! Plante er so seine Operationen? Bereitete er seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so auf ihre Rollen im Team vor, wie er Welker für seine Rolle am Telephon vorbereitete? Er redete auf ihn ein, verhörte ihn, verspottete ihn, beruhigte ihn, herrschte ihn an und hatte ihn nach einer Weile so weit, daß er, als er Gregor anrief, tatsächlich beinahe durchdrehte.
    Samarin ließ sich auf das Treffen ein, fünf Uhr am Wasserturm. »Keine Polizei. Wir reden miteinander, du redest übers Handy mit deinen Kindern, und dann fahren wir zurück nach Schwetzingen.«

4
Schlag auf Schlag
    Wenn das Wünschen helfen würde, würde ich in einem Rondell auf einem der beiden Sandsteinhäuser Ecke Friedrichsplatz und Augustaanlage wohnen. Statt neben dem Wasserturm herumzustehen, wo ich nicht wirklich gebraucht wurde, hätte ich einen Liegestuhl auf die Terrasse gestellt, das Zeiss-Fernglas hervorgeholt, das ich von meinem Vater geerbt habe, und mir das Geschehen angeschaut.
    Welker war schon lange vor fünf da, lief um den Wasserturm herum, sah in die leeren Becken und wandte den Kopf suchend vom Rosengarten zur Kunsthalle. Ihm war nicht wohl; er kreuzte die Arme vor der Brust, als wolle er sich festhalten, lief zu schnell, und wenn er stand, trat er nervös von einem Bein auf das andere. Nägelsbach saß auf einer Bank, in ziviler Haltung, aber in Uniform. Neben ihm saß seine Frau.
    Vermutlich hätte ich von oben auch alle von Samarins Leuten im Blick gehabt. Ich sah den blauen Mercedes; er stand am Bushalteplatz auf dem Kaiserring, und einer saß am Steuer. Die anderen jungen Männer sah ich nicht. Ich sah auch Samarin nicht, bis er über den Kaiserring auf Welker zukam. Er lief mit schwerem, festem Gang, als könne ihn nichts erschüttern oder aufhalten. Vermutlich hatte er das Terrain umkreist und sich versichert, daß alles normal war. Wenn Welker die Polizei eingeschaltet hätte, würde sie keinen Polizisten in Uniform und mit Frau an den Treffpunkt setzen. Sie würde auch mich nicht am Treffpunkt dulden. Samarin schaute prüfend zum Wasserturm hoch, schüttelte den Kopf und lachte vor sich hin.
    Ich habe Welker später zu fragen vergessen, was Samarin zu ihm gesagt und was er erwidert hatte. Lange haben sie nicht miteinander geredet. Wir hatten alles Schlag auf Schlag geplant.
    Der Krankenwagen wartete in der Kunststraße, bis die Ampel grün war. Er fuhr über den Kaiserring, um den Brunnen vor dem Wasserturm und schaltete Blaulicht und Sirene genau dann an, als er wenige Meter neben Welker und Samarin hielt. Samarin war irritiert; er schaute zum Krankenwagen, aus dem vorne Philipp in Weiß und hinten Füruzan und eine Kollegin in Schwesterntracht und mit Trage sprangen, sah sich um, sah die von der Bank gesunkene, auf dem Boden hingestreckte Frau Nägelsbach und war gerade in dem Augenblick nicht mehr irritiert, in dem Philipp ihm den Arm um die Schulter legte und die Spritze in den Arm trieb. Er taumelte, und es sah aus, als faßte Philipp ihn um die Schulter, um ihn zu halten und zu stützen. Dann sank er auf die Trage, auf der er im Handumdrehen in den Krankenwagen geschoben wurde. Die Schwestern zogen die Türen von innen zu, Philipp sprang ans Steuer, und der Krankenwagen war auf dem Friedrichsring, auf und davon. Nägelsbach kümmerte sich um seine Frau, die ihre Rolle genoß und nicht zu sich kommen mochte. Sie richtete sich erst auf, als die Sirene des Krankenwagens nicht mehr zu hören war, und ließ sich von Nägelsbach zur Taxe am Stand vor der Deutschen Bank führen. In einer Minute war alles vorbei.
    Der Mercedes startete mit quietschenden Reifen, wendete über den Grünstreifen und die Schienen und fuhr auf den Friedrichsring, ohne Chance, den Krankenwagen einzuholen. Die anderen jungen Männer sah ich noch immer nicht. Von den Passanten und Flaneuren blieb niemand stehen; niemand wunderte sich, sprach andere an, wollte wissen, was sie gesehen hatten und was geschehen war. Es war alles so schnell gegangen, daß niemand neugierig werden konnte.
    Ich setzte mich auf die Bank, auf der das Ehepaar Nägelsbach gesessen hatte, und zündete mir eine meiner seltenen Zigaretten an. Die seltenen Zigaretten schmecken nicht; sie schmecken wie die erste, die auch nicht geschmeckt hat. In einer halben Stunde würde Samarin im Krankenhaus

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