Selbs Mord
mäanderten über Plankstadt, Grenzhof, Friedrichsfeld und Rheinau zu Philipps Wohnung am Waldparkdamm. Kein blauer Mercedes weit und breit, auch kein schwarzer oder grüner, keine jungen Männer in dunklen Anzügen. Auf dem Stephanienufer schoben Mütter und Väter, die schon zu Mittag gegessen hatten, ihre Kinderwagen, und auf dem Rhein tuckerten friedlich die Lastschiffe.
Welker war mißtrauisch. Nägelsbach brachte seine Frau mit, und Philipp wollte, wenn bei ihm geredet wurde, auch hören, was geredet wurde. Welker sah vom einen zum anderen, durch die halboffene Tür in Philipps Schlafzimmer mit dem Spiegel an der Decke über dem Wasserbett und dann zu mir. »Sind Sie sicher, daß …«
Ich nickte und begann, seine Geschichte zu erzählen. Manchmal ergänzte er, schließlich übernahm er und erzählte selbst weiter. Am Ende kamen ihm wieder die Tränen. Frau Nägelsbach stand auf, setzte sich auf die Lehne seines Sessels und nahm ihn in die Arme.
»Das ist nicht mehr meine Welt.« Nägelsbach schüttelte traurig den Kopf. »Nicht daß in meiner Welt alles gestimmt hätte. Ich wäre nicht Polizist gewesen, wenn alles gestimmt hätte. Aber Geld war Geld, eine Bank war eine Bank, und ein Verbrechen war ein Verbrechen. Ein Mord hatte mit Leidenschaft, Eifersucht oder Verzweiflung zu tun, und wenn mit Gier, dann mit heißer. Dieses kalkulierte Morden, dieses Waschen von Millionen, diese Bank, die ein Irrenhaus ist, in dem die Irren die Ärzte und Schwestern eingesperrt haben – es ist eine fremde Welt.«
»Ach, hör auf.« Frau Nägelsbach war ärgerlich. »Seit Wochen redest du so. Kannst du deinen Pensionierungsschmerz nicht mal vergessen? Oder verdrängen? Oder verarbeiten, indem du diesem armen Kerl und deinen Freunden was sagst, womit sie was anfangen können? Du warst ein guter Polizist, und ich war immer stolz auf dich und will es weiter sein.«
Philipp schaltete sich ein. »Ich verstehe ihn. Es ist auch nicht mehr meine Welt. Ich weiß nicht genau, was daran schuld ist: das Ende des kalten Kriegs, der Kapitalismus, die Globalisierung, das Internet oder daß die Leute keine Moral haben.« Ich muß ihn verdutzt angeschaut haben. Er schaute gelassen zurück. »Du denkst, Moral sei nicht mein Thema? Aber daß ich viele Frauen geliebt habe, heißt nicht, daß ich keine Moral habe. Außerdem werden, wo Geld gewaschen wird, auch Frauen ausgebeutet. Nein, ich bin nicht bereit, meine Welt kampflos aufzugeben, und ich hoffe, ihr seid es auch nicht.«
Ich schaute erstaunt vom einen zum anderen. Frau Nägelsbach schüttelte den Kopf. »Kämpfen? Ihr müßt der Welt nicht beweisen, daß ihr noch nicht zum alten Eisen gehört. Daß ihr’s den Jungen noch zeigen könnt. Ruft die Polizei, und sorgt dafür, daß sie Samarin nicht kopfscheu macht. Du kennst doch die richtigen Leute, Rudi. Wenn Samarin begreift, daß das Spiel aus ist, wird er nicht so verrückt sein, den Kindern etwas zu tun.«
»Ich glaube es auch nicht. Aber sicher – nein, sicher bin ich nicht. Sind Sie’s? Daß das Spiel aus ist, kann einen zur Vernunft, aber auch um den Verstand bringen. Ich habe nie erlebt, daß Samarin die Beherrschung verloren hätte. Aber neulich war er nahe dran, und ich fürchte, wenn er tatsächlich explodiert, ist er zu allem fähig.«
»Sie können sich darauf verlassen: Er kann explodieren. Er kann morden. Nein, keine Polizei. Vielen Dank, aber ich …« Welker stand auf.
»Setzen Sie sich hin. Wir müssen nutzen, was wir haben: einen Arzt, einen Krankenwagen …«
Philipp nickte.
»… einen Polizisten in Uniform …«
Nägelsbach lachte. »Wenn ich noch reinpasse – ich habe sie seit Jahren nicht mehr angehabt.«
»… und die Wahl des Orts. Herr Welker, schaffen Sie, am Telephon so überzeugend in Panik zu geraten, daß Samarin einen Schreck kriegt und sich mit Ihnen lieber da trifft, wo Sie wollen, als riskiert, daß Sie durchdrehen? Schaffen Sie das?«
Philipp grinste. »Mach dir keine Sorgen. Ich kriege ihn dahin.«
»Am Wasserturm.« Nägelsbach setzte den Aschenbecher als Wasserturm in die Mitte des Tischs, legte eine Zeitung als Kaiserring davor und zeigte mit seinem Kugelschreiber. »Natürlich wird Samarin seine Leute um den Wasserturm postieren. Und wenn er vier Autos hat, wird er sie bei den vier Fahrbahnen warten lassen, die vom Wasserturm wegführen. Aber er kann nicht alle seine Leute in Autos setzen, und wenn er …«
Nägelsbach plante, erklärte, beantwortete Fragen, bedachte Einwände,
Weitere Kostenlose Bücher