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Selbst ist der Mensch

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Titel: Selbst ist der Mensch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Damasio
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Substanzen bezeichnet man als anterograde Tracer (»vorwärtsgehende Spurenleger«). Der zweite Typ sind die retrograden Tracer: Sie werden von den Axonenden aufgenommen und in umgekehrter Richtung zum Zellkörper transportiert, das heißt zu den Neuronen, von denen das jeweilige Axon ausgeht. Dieser Transport von Tracersubstanzen bietet die Möglichkeit, in jeder einzelnen Region festzustellen, von wo sie ihre Verknüpfungen erhält und wohin sie ihre Verknüpfungen aussendet.
     
    Abb. 9.3 . Die Lage der posteromedialen Cortices im Gehirn des Menschen
     
    Die PMCs bestehen aus mehreren Unterregionen. (In Brodmans cytoarchitektonischer Karte handelt es sich um die Areale 23a/b, 29, 30, 31 und 7m.) Zwischen diesen Unterregionen bestehen so vielschichtige Verknüpfungen, dass es vernünftig ist, sie bis zu einem gewissen Grad als Einheit zu betrachten. Einige charakteristische Verbindungsmuster innerhalb der Unterabschnitte deuten auf die Möglichkeit hin, dass manche von ihnen eigenständige Funktionen erfüllen. Dennoch erscheint der Oberbegriff, den wir für die ganze Gruppe geprägt haben, zumindest fürs Erste gerechtfertigt.
    Das Muster der PMC-Verknüpfungen, über das in der ersten Veröffentlichung zu diesen arbeits- und zeitaufwändigen Untersuchungen berichtet wurde, 3 ist in Abbildung 9.4 zusammenfassend dargestellt. Man kann es folgendermaßen beschreiben:
     
Der Input aus den Assoziationsfeldern in Scheitel- und Schläfenlappen, Riechrinde und Stirnlappen läuft in den PMCs zusammen, ebenso der Input aus dem Cortex cingulatus anterior (einem wichtigen Endpunkt von Axonen aus der Inselrinde), dem Claustrum, dem basalen Vorderhirn, der Amygdala, der prämotorischen Region und den Sehfeldern in den Stirnlappen. Auch die intralaminaren und dorsalen Kerne des Thalamus entsenden Fortsätze in die PMCs.
Die Stellen, von denen in den PMCs zusammenlaufende Signale ausgehen, empfangen mit wenigen Ausnahmen von dort auch einen Output; bei den Ausnahmen handelt es sich um den ventromedialen präfrontalen Cortex, das Claustrum und die intralaminaren Kerne des Thalamus. Manche Stellen, die keine Fortsätze (Projektionen) zu den PMCs entsenden, nehmen von dort Fortsätze auf; dies gilt für den Nucleus caudatus, das Putamen, den Nucleus accumbens und das periaquäduktale Grau.
Es bestehen keine Verbindungen zwischen den PMCs und den frühen sensorischen oder den primären motorischen Rindenfeldern.
Wie die unter Ziffer 1 und 2 beschriebenen Befunde deutlich machen, handelt es sich bei den PMCs um eine Konvergenz- und Divergenz-Region höherer Ebene. Sie sind ein wichtiges Mitglied im Club der CD-Regionen, die nach meiner Überzeugung gute Kandidaten für die Koordination der Inhalte im bewussten Geist darstellen, und sie stehen sogar in einer wichtigen Verbindung mit einem anderen potenziellen Koordinator: dem Claustrum, das nachweislich Fortsätze zu den PMCs entsendet, aber schlecht erforscht ist.
     
     
    Abb. 9.4 . Das Muster der Neuronenverknüpfungen der posteromedialen Cortices (PMCs), aufgeklärt in einer Studie an Affen.
     
    Abkürzungen:
    dlpfc = dorsolateraler präfrontaler Cortex
    fef = frontale Sehfelder
    vmpfc = ventromedialer präfrontaler Cortex
    bf = basales Vorderhirn
    claus = Claustrum
    acc = Nucleus accumbens
    amy = Amygdala
    pag = periaquäduktales Grau
     
    Weitere Unterstützung für die Vorstellung, dass die PMCs neuroanatomisch etwas Besonderes sind, lieferte kürzlich eine Studie an Menschen. 4 Ihr Leiter Olaf Sporns bediente sich des modernen Verfahrens der Diffusions-Tensor-Bildgebung, das Bilder der Neuronenverknüpfungen und ihrer ungefähren räumlichen Verteilung lieferte. Mit den so gewonnenen Daten konstruierten die Autoren Karten der Verknüpfungsanordnung in der gesamten menschlichen Großhirnrinde. Sie identifizierten mehrere über die ganze Hirnrinde verteilte Knotenpunkte, und einige davon entsprechen den zuvor beschriebenen CD-Regionen. Außerdem gelangten sie zu dem Schluss, dass die PMC-Region ein einzigartiges Drehkreuz darstellt, das mit anderen Knotenpunkten enger verbunden ist als jeder andere.

Die PMCs bei der Arbeit
     
    Jetzt können wir uns besser vorstellen, wie die PMCs möglicherweise zum bewussten Geist beitragen. Sie machen zwar einen beträchtlichen Teil der Großhirnrinde aus, die Leistungsfähigkeit der PMCs speist sich aber nicht aus ihrem »Landbesitz«, sondern aus dem Umgang, den sie pflegen. Sie empfangen Signale von den meisten sensorischen

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