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Selbst ist der Mensch

Selbst ist der Mensch

Titel: Selbst ist der Mensch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Damasio
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Ganzen entbehrlich sind.
    Als Arbeitshypothese können wir also sagen: Der Aufbau des autobiografischen Selbst hängt von zwei miteinander verknüpften Mechanismen ab. Der erste unterstützt den Mechanismus des Kern-Selbst und stellt sicher, dass jede Gruppe biografischer Erinnerungen als Objekt behandelt und in einem Puls des Kern-Selbst bewusst gemacht wird. Der zweite sorgt über das ganze Gehirn hinweg für Koordination, zu der folgende Schritte gehören: Erstens bestimmte Inhalte werden aus dem Gedächtnis heraufbeschworen und als Bilder dargestellt. Zweitens die Bilder können in geordneter Form mit einem anderen, an anderer Stelle im Gehirn angesiedelten System interagieren, nämlich mit dem Protoselbst. Drittens die Ergebnisse der Interaktion werden über einen bestimmten Zeitraum hinweg als Einheit zusammengehalten.
     
    Abb. 9.1 . Neuronale Mechanismen des autobiografischen Selbst
     
    Bei den Strukturen, die am Aufbau des autobiografischen Selbst beteiligt sind, handelt es sich einerseits um alle, die auch für das Kern-Selbst notwendig sind und sich in Hirnstamm, Thalamus und Großhirnrinde befinden, andererseits aber auch um die Strukturen, die an den im Folgenden erörterten Koordinationsmechanismen mitwirken.

Die Frage der Koordination
     
    Bevor ich mich weiter über Koordination äußere, möchte ich sicherstellen, dass meine Gedanken nicht falsch interpretiert werden. Bei den Koordinationsmechanismen, die ich postuliere, handelt es sich nicht um cartesianische Theater. (In ihnen wird kein Schauspiel aufgeführt.) Es handelt sich nicht um Bewusstseinszentren. (So etwas gibt es nicht.) Es handelt sich nicht um die Interpreten-Homunculi. (Sie wissen nichts, und sie interpretieren nichts.) Sie sind vielmehr genau das, was sie nach meiner Hypothese sein sollen, und nichts anderes: spontane Organisatoren eines Prozesses. Die Ergebnisse des gesamten Vorgangs zeigen sich nicht innerhalb des Koordinationsapparats , sondern an anderer Stelle , nämlich insbesondere in den bilderzeugenden, geisterzeugenden Strukturen des Gehirns, die sowohl in der Großhirnrinde als auch im Hirnstamm angesiedelt sind.
     
    Angetrieben wird die Koordination nicht von irgendeiner geheimnisvollen, von außerhalb des Gehirns kommenden Triebkraft, sondern durch natürliche Faktoren, unter anderem durch die Reihenfolge, in der die zu Bildern gewordenen Inhalte in den Geistesprozess einfließen, und durch den Wert, der dem Inhalt beigemessen wird. Wie wird die Bewertung bewerkstelligt? Man muss bedenken, dass jedes Bild während seiner Verarbeitung durch das Gehirn automatisch beurteilt und mit einem Wert versehen wird – ein Prozess, der sich auf die ursprünglichen Dispositionen des Gehirns (das heißt auf sein biologisches Wertsystem) stützt; außerdem spielen Dispositionen, die durch lebenslanges Lernen erworben wurden, eine Rolle. Die Markierung erfolgte während der ursprünglichen Wahrnehmung und wurde zusammen mit dem Bild aufgezeichnet, sie wird aber auch jedes Mal, wenn wir uns daran erinnern, wiederbelebt. Die Koordinationsmechanismen des Gehirns werden, kurz gesagt, mit Abfolgen von Ereignissen sowie mit einer Fülle früherer, gefilterter und mit Werten gekennzeichneter Kenntnisse konfrontiert und unterstützen dann die Organisation der derzeitigen Inhalte. Außerdem leiten die Koordinationsmechanismen die Bilder an das Protoselbst weiter, und am Ende halten sie die Ergebnisse der Interaktion (Pulse des Kern-Selbst) vorübergehend in Form eines zusammenhängenden Musters fest.

Die Koordinatoren
     
    Nach der hier beschriebenen Arbeitshypothese erfordert das erste Stadium der Umsetzung des neuronalen autobiografischen Selbst Strukturen und Mechanismen, die bereits im Zusammenhang mit dem Kern-Selbst erörtert wurden. Etwas Besonderes sind aber die Strukturen und Mechanismen, die zur Umsetzung des zweiten Stadiums erforderlich sind: der zuvor beschriebenen Koordination über das gesamte Gehirn hinweg.
    Wer sind die Kandidaten für die Aufgabe, das System im großen Umfang zu koordinieren? Hier fallen einem mehrere Strukturen ein, aber nur wenige kommen ernsthaft in Betracht. Ein wichtiger Kandidat ist der Thalamus, der in allen Diskussionen über die neuronale Grundlage des Bewusstseins immer wieder vorkommt, und insbesondere seine Sammlung von Assoziationskernen. Die Stellung der Kerne im Thalamus, zwischen Großhirnrinde und Hirnstamm, eignet sich ideal für die Vermittlung und Koordination von Signalen. Der

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