Selbst ist der Mensch
völlig zerstört werden könnten.
Wie ich bereits betont habe, haben Strukturen, die mit dem Bewusstsein im Zusammenhang stehen, mehrere gemeinsame anatomische Merkmale. Erstens befinden sie sich sowohl auf der subkortikalen als auch auf der kortikalen Ebene meist in den älteren Gehirnteilen. Dies ist nicht verwunderlich angesichts der Tatsache, dass die Anfänge des Bewusstseins zwar erst spät in der biologischen Evolution in Erscheinung traten, aber keineswegs eine neuere evolutionäre Entwicklung darstellen. Zweitens liegen sowohl die kortikalen als auch die subkortikalen Strukturen meist in der Nähe der Mittellinie, und wie die PMCs sehen sie oftmals wie ein rechter und linker Zwilling aus – dies gilt für die Kerne in Thalamus und Hypothalamus ebenso wie für die im Tegmentum des Hirnstamms. Hier besteht ein enger Zusammenhang zwischen entwicklungsgeschichtlichem Alter und praktischer Lage.
Die PMCs wirken als Partner im Netzwerk der kortikalen CD-Regionen mit. Die Funktion der anderen CD-Regionen und das Protoselbst-System sind aber so gestaltet, dass das Bewusstsein nach einer hypothetischen Zerstörung der gesamten PMC-Region zwar voraussichtlich beeinträchtigt, aber nicht völlig zerstört wird, vorausgesetzt, alle anderen CD-Regionen und das Protoselbst-System bleiben intakt. Das Bewusstsein würde dann – wenn auch nicht in vollem Umfang – wiederhergestellt. Im Spätstadium der Alzheimer-Krankheit, das ich im nächsten Abschnitt beschreiben werde, herrscht dagegen eine andere Situation: Hier ist die Schädigung der PMCs praktisch der letzte Schritt in einem Prozess der allmählichen Zerstörung, der zuvor bereits andere CD-Regionen und das Protoselbst-System funktionsunfähig gemacht hat.
Weitere Überlegungen zu den posteromedialen Rindenfeldern
Anästhesieforschung
Eine Vollnarkose ist in mehrfacher Hinsicht ein ideales Mittel, wenn man die neurobiologischen Grundlagen des Bewusstseins erforschen will. Sie gehört zu den spektakulärsten Entwicklungen in der Medizin und hat vielen Millionen Menschen, die man ohne sie nicht hätte operieren können, das Leben gerettet. Häufig stellt man sich eine Vollnarkose als Schmerzmittel vor: Sie verhindert die Schmerzen, die die Operationswunden verursachen würden. In Wirklichkeit verhindert die Anästhesie den Schmerz aber auf die radikalstmögliche Weise: Sie schaltet das Bewusstsein völlig aus, also nicht nur die Schmerzempfindung, sondern sämtliche Aspekte des bewussten Geistes.
Eine oberflächliche Anästhesie führte zu einer leichten Verminderung des Bewusstseins, lässt aber Platz für manche unbewussten Lernvorgänge und das gelegentliche »Durchbrechen« der bewussten Verarbeitung. Eine stärkere Anästhesie schneidet tief in die Bewusstseinsprozesse ein und ist eigentlich eine pharmakologisch gesteuerte Variante des vegetativen Zustandes oder sogar des Komas. Genau diesen Zustand braucht der Chirurg, wenn er in Ruhe am offenen Herzen oder am Hüftgelenk arbeiten will. Der Patient muss weit von allem weg sein und so tief schlafen, dass er sich nicht bewegen kann und seine Muskeln weich wie Butter sind. In diesem Zustand, dem Stadium III der Anästhesie, kann der Patient nichts hören, nichts spüren, an nichts denken. Spricht der Chirurg ihn an, reagiert er nicht.
In der Geschichte der Anästhesie bedienten sich Chirurgen zahlreicher pharmakologischer Wirkstoffe, und die Suche nach den Molekülen, die diese Aufgabe bei minimalem Risiko und geringer Giftwirkung möglichst effizient erfüllen können, ist bis heute nicht zu Ende. Allgemein gesprochen, entfalten Narkosemittel ihre Wirkung, indem sie für eine zunehmende Hemmung der neuronalen Schaltkreise sorgen. Dies lässt sich erreichen, indem man die Wirkung der GABA (Gamma-Aminobuttersäure) verstärkt, des wichtigsten hemmenden Transmitters im Gehirn. Anästhetika wirken, indem sie Neuronen hyperpolarisieren und das Acetylcholin blockieren, einen wichtigen Botenstoff für die normale Kommunikation zwischen den Neuronen. Allgemein herrschte die Ansicht, Narkosemittel würden die Gehirnfunktionen durch die Bank unterdrücken und die Aktivität der Neuronen nahezu überall dämpfen. Neuere Studien belegen jedoch, dass manche Anästhetika sehr selektiv auf ganz bestimmte Gehirnzentren wirken. Ein gutes Beispiel ist das Propofol. Wie Untersuchungen mit funktioneller Magnetresonanztomographie gezeigt haben, entfaltet es seinen großartigen Effekt vor allem durch Einwirkung auf drei
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