Selbst ist der Mensch
direkt als auch mithilfe subkortikaler Kerne der Amygdalae und der Basalganglien in den kleinen Hirnstamm. Letztlich beschreibt man den Thalamus vielleicht am besten als Ehevermittler für ein äußerst seltsames Paar.
Das Missverhältnis zwischen Hirnstamm und Großhirnrinde erlegte der Entwicklung der Kognitionsfähigkeiten im Allgemeinen und unseres Bewusstseins im Besonderen wahrscheinlich Beschränkungen auf. Was dabei faszinierend ist: Wenn sich die Kognition beispielsweise unter dem Druck der digitalen Revolution verändert, sagt dieses Missverhältnis vermutlich eine Menge über die Evolution des menschlichen Geistes aus. Nach meiner Formulierung bleibt der Hirnstamm der Lieferant grundlegender Aspekte des Bewusstseins, denn er ist die erste, unverzichtbare Quelle ursprünglicher Gefühle. Durch steigende Ansprüche an die Kognition wurde das Wechselspiel zwischen Großhirnrinde und Hirnstamm gröber und brutaler, oder, um es freundlicher auszudrücken: Der Zugang zum Ursprung der Gefühle wurde erschwert. Möglicherweise muss eine Seite nachgeben.
Wie ich bereits sagte, wäre es töricht, Partei zu ergreifen und einen der drei Hirnteile im Zusammenhang mit der Erzeugung des Bewusstseins zu bevorzugen. Dennoch muss man sich wohl der Meinung anschließen, dass der Hirnstamm eine funktionelle Voraussetzung darstellt, dass er ein ganz und gar unentbehrlicher Teil des Puzzles ist und dass er gerade aus diesem Grund, aber auch wegen seiner bescheidenen Größe und seiner dichten Anatomie, unter den drei großen Teilen am anfälligsten für pathologische Veränderungen ist. Dies muss in jedem Fall gesagt werden, und sei es auch nur, weil die Großhirnrinde im Krieg um das Bewusstsein so häufig die Oberhand behält.
Arbeitsteilung auf allen Ebenen
Bisher habe ich versucht, die Entstehung des bewussten Geistes vorwiegend aus Sicht der Komponenten zu erklären, die man mit bloßem Auge erkennen kann, darunter die kleinen Kerne von Hirnstamm und Thalamus. Das bloße Auge sieht aber weder die Millionen von Neuronen, die innerhalb dieser Strukturen die Netzwerke oder Systeme bilden, noch die zahlreichen kleinen Neuronengruppen, die zu dem Gesamtziel, einen Geist mit einem Selbst zu erzeugen, beitragen. Die Gemeinschaftsarbeit der großen anatomischen Teile baut auf der Gemeinschaftsarbeit von Komponenten auf, die allmählich immer kleiner werden, bis hinab zu winzigen Neuronenschaltkreisen. Bei dieser anatomischen Abwärtsbewegung treffen wir auf immer kleinere Regionen der Großhirnrinde, die durch eine Fülle von Verdrahtungen mit anderen Stellen im Gehirn verknüpft sind. Kleinere und immer kleinere Kerne sind auf ganz besondere Weise mit anderen Kernen und anderen Abschnitten der Großhirnrinde verbunden. Ganz unten in der Hierarchie schließlich finden wir winzige Neuronenschaltkreise, jene mikroskopisch kleinen Bausteine, deren von Augenblick zu Augenblick veränderliches räumliches Aktivitätsmuster den Geist entstehen lässt. Der bewusste Geist ist aus der verschachtelten, hierarchischen Komponentenstruktur des Gehirns aufgebaut.
Ganz allgemein geht man davon aus, dass die grundlegenden Phänomene bei der Bildung des Geistes dadurch entstehen, dass Neuronen, die über Synapsen verbunden sind, innerhalb mikroskopisch kleiner Schaltkreise feuern. Dies bezeichnet man bequemlichkeitshalber als »Protophänomene« der Kognition. Ebenso nimmt man an, dass die Summe aus einer großen Zahl solcher Phänomene zur Entstehung der Karten führt, die wir als Bilder bezeichnen, und dass ein Teil dieses Vergrößerungsprozesses, wie in Kapitel 3 formuliert, auf der Synchronisation verschiedener Protophänomene beruht.
Aber reicht es aus, die Mikroereignisse der Protokognition und der Synchronisierung zusammenzunehmen und sie in eine verschachtelte Hierarchie, die sich auf die drei eben erörterten neuroanatomischen Hirnteile verteilt, zu vergrößern? Nach der zuvor formulierten Erklärung wird die Übertragung der neuronalen Mikroereignisse und der Protokognition schließlich zum bewussten Geist hochvergrößert, die Gefühle fallen dabei aber unter den Tisch. Gibt es eine Entsprechung in Form von »Protogefühlen«, die ebenfalls aus neuronalen Mikroereignissen aufgebaut sind und parallel zur Protokognition auf einen größeren Maßstab übertragen werden?
In allen Überlegungen, die in den vorangegangenen Kapiteln vorgetragen wurden, habe ich die Gefühle als unverzichtbaren, grundlegenden Partner für die
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