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Selbst ist der Mensch

Selbst ist der Mensch

Titel: Selbst ist der Mensch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Damasio
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Entstehung des bewussten Geistes bezeichnet, aber nichts zu ihrem möglichen Ursprung in mikroskopischen Strukturen gesagt. Wie bereits erwähnt, beziehen wir spontane Gefühle vom Protoselbst, und diese Gefühle lassen gleichzeitig erstmals sowohl den Geist als auch die Subjektivität aufflackern. Später haben wir das Gefühl, etwas zu kennen, herangezogen, um Selbst von Nichtselbst zu trennen und ein eigenständiges Kern-Selbst zu formulieren. Schließlich haben wir aus zahlreichen solchen Gefühlskomponenten ein autobiografisches Selbst aufgebaut. Gefühle wurden als Kehrseite der Kognitionsmedaille dargestellt, aber ihre Entstehung wurde auf die Ebene der Systeme verlegt. Ich habe mich auf die einzigartige, durch Resonanzschleifen und Verknüpfungen charakterisierte Beziehung zwischen Hirnstamm und Körper berufen, außerdem aber auch auf die umfassende, rekursive Kombination der Signale aus dem Körper im oberen Hirnstamm, die eine Quelle für qualitativ unterschiedliche Körpergefühle darstellen. Dies könnte eine durchaus ausreichende Erklärung für die Entstehung der Gefühle sein. Vernünftigerweise sollte man aber nach einem zusätzlichen Aspekt fragen. Wenn wir den Ursprung der Bilder ganz allgemein auf die Mikroebene verlegen, auf der kleine Neuronenschaltkreise einzelne Fragmente der Protokognition erzeugen, warum sollen wir dann nicht der besonderen Klasse von Bildern, die wir als Gefühle bezeichnen, die gleiche Behandlung angedeihen lassen und ihren Ursprung in die gleichen kleinen Schaltkreise oder deren Nähe verlegen? Im nächsten Abschnitt werde ich die Vermutung äußern, dass Gefühle tatsächlich einen solchen bescheidenen Ursprung haben. Protogefühle würden dann hierarchisch aufsteigend in größere Schaltkreise hineinvergrößert, in diesem Fall in die Schaltkreise im Tegmentum des oberen Hirnstamms, wo aus ihnen durch weitere Verarbeitung die ursprünglichen Gefühle werden.

Wenn wir unsere Wahrnehmungen fühlen
     
    Jeder, der sich für Gehirn, Geist und Bewusstsein interessiert, hat schon einmal von den Qualia gehört und hat auch eine Meinung dazu, was die Neurowissenschaft zu diesem Thema beitragen kann: Soll man es ernst nehmen und sich bemühen, damit umzugehen, oder soll man es für unzugänglich halten und zurückstellen oder völlig außer Acht lassen? Wie man leicht erkennt, nehme ich das Thema ernst. Aber da der Begriff der Qualia ein wenig unscharf ist, wollen wir zunächst einmal klären, worum es eigentlich geht. 7
    In dem nun folgenden Text wird Qualia als Summe zweier Fragen betrachtet. Einerseits bezeichnet der Begriff die Gefühle, die ein unverzichtbarer Teil jedes subjektiven Erlebens sind – eine Schattierung von Freude oder ihrem Fehlen, eine Schattierung von Schmerz oder Unwohlsein, Wohlgefühl oder deren Abwesenheit. Dies bezeichne ich als Qualia-I-Problem. Das zweite Problem geht tiefer. Wenn subjektive Erfahrungen von Gefühlen begleitet sind, wie kommen dann die Gefühlszustände zustande? Dies geht über die Frage hinaus, wie ein Erlebnis, beispielsweise der Klang eines Cellos, der Geschmack von Wein oder die Bläue des Meeres, in unserem Geist überhaupt eine bestimmte Sinnesqualität erhält. Man stellt vielmehr eine kühnere Frage: Warum soll sich der Aufbau von Wahrnehmungskarten, der ein physischer, neurochemischer Vorgang ist, wie etwas anfühlen? Warum sollen sie sich überhaupt irgendwie anfühlen? Dies ist das Qualia-II-Problem.

Qualia I
     
    Es gibt keine bewussten Bilder irgendeines Typs, die nicht von einem ergebenen Chor aus Emotionen und den nachfolgenden Gefühlen begleitet wäre. Wenn ich auf den Pazifik blicke, der in seinen Morgenanzug gekleidet ist und von einem weichen, grauen Himmel beschützt wird, dann sehe ich die majestätische Schönheit nicht nur, sondern ich empfinde ihr gegenüber auch etwas und spüre eine ganze Reihe physiologischer Veränderungen, die sich jetzt, wo Sie fragen, in einen ruhigen Zustand des Wohlbefindens verwandeln. Das geschieht nicht durch meinen Willen, und die Gefühle zu verhindern, steht ebenso wenig in meiner Macht, wie ich die Möglichkeit habe, sie in Gang zu setzen. Sie sind gekommen, sie sind da, und sie werden in dieser oder jener Ausprägung bei mir bleiben, solange das gleiche Objekt bewusst in meinem Blickfeld bleibt und solange meine Gedanken darin eine Art Widerhall finden.
    Ich stelle mir die Qualia I gern als Musik vor, als Partitur, die den übrigen gerade ablaufenden geistigen Prozess

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