Selbst ist der Mensch
geschieht, wird ständig durch die Wechselwirkungen mit dem Dispositionsraum beeinflusst, der die Bilder spontan in Abhängigkeit von der augenblicklichen Wahrnehmung und den Erinnerungen an früher organisiert. Das bewusste Gehirn funktioniert zu jedem einzelnen Zeitpunkt global, es tut dies aber auf anatomisch differenzierte Weise.
Wenn man vom menschlichen Bewusstsein spricht, denkt jeder sofort an die hochentwickelte Hirnrinde, und dennoch habe ich viele der vorangegangenen Seiten darauf verwandt, eine Verbindung zwischen dem Bewusstsein und dem bescheidenen Hirnstamm herzustellen. Bin ich bereit, die hergebrachten Weisheiten über Bord zu werfen und den Hirnstamm als führenden Partner im Bewusstseinsprozess anzuerkennen? Nicht ganz. Das Bewusstsein des Menschen erfordert sowohl die Großhirnrinde als auch den Hirnstamm. Allein kann die Großhirnrinde es nicht erzeugen.
Wir verstehen heute immer besser, wie Neuronenschaltkreise funktionieren. Man konnte Geisteszustände mit der Impulsgeschwindigkeit von Neuronen und der Synchronisation von Schaltkreisen durch oszillierende Aktivitäten in Verbindung bringen. Wie wir wissen, gibt es im Gehirn des Menschen – und insbesondere in der Hirnrinde – im Vergleich zu bestimmten Tierarten eine größere Zahl stärker spezialisierter Areale. Außerdem enthält die Hirnrinde des Menschen (wie auch die der Menschenaffen, Wale und Elefanten) einige ungewöhnlich große Neuronen, die als Von-Economo-Neuronen bezeichnet werden, und auch die Dendritenverzweigungen mancher Neuronen im präfrontalen Cortex der Primaten sind im Vergleich zu anderen Rindenregionen und anderen biologischen Arten besonders zahlreich. Reichen diese neu entdeckten Eigenschaften aus, um das Bewusstsein des Menschen zu erklären? Die Antwort lautet Nein. Sie tragen dazu bei, den Reichtum des menschlichen Geistes zu erklären, jenes gewaltige Panorama, zu dem wir Zugang haben, wenn der Geist durch die vielfältigen Selbst-Prozesse das Bewusstsein erlangt. Allein erklären sie aber nicht, wie Selbst und Subjektivität erzeugt werden, auch wenn manche dieser Eigenschaften für die Selbst-Mechanismen eine Rolle spielen.
In Beschreibungen des Bewusstseins werden die Gefühle häufig übergangen. Kann es ein Bewusstsein ohne Gefühle geben? Nein. Das introspektive Erleben des Menschen umfasst immer auch Gefühle. Natürlich kann man den Nutzen der Introspektion infrage stellen, aber im Zusammenhang mit diesem Thema müssen wir erklären, warum uns Bewusstseinszustände immer so und nicht anders erscheinen.
Ich habe die Hypothese aufgestellt, dass Gefühlszustände vor allem von den neuronalen Systemen des Hirnstamms erzeugt werden, weil diese eine besondere Gestaltung aufweisen und dem Körper gegenüber positioniert sind. Ein Skeptiker könnte zu dem Schluss gelangen, dass ich die Frage, warum sich Gefühle so und nicht anders anfühlen, nicht beantwortet habe, ganz zu schweigen von der Frage, warum sie sich überhaupt nach etwas anfühlen. Hier stimme ich zu und auch wieder nicht. Ich habe sicher keine umfassende Erklärung für die Entstehung von Gefühlen abgegeben, aber ich vertrete eine ganz bestimmte Hypothese, deren Aspekte man auf den Prüfstand stellen kann.
Weder von den in diesem Buch erörterten Gedanken noch von denen, die mehrere auf dem gleichen Gebiet tätige Kollegen geäußert haben, kann man behaupten, sie würden die Rätsel rund um Gehirn und Bewusstsein lösen. Aber die derzeitigen Arbeiten haben zu mehreren Hypothesen geführt, die wissenschaftlich überprüft werden können. Ob sich ihre Verheißungen erfüllen, kann nur die Zeit zeigen.
Die Neurologie des Bewusstseins
Die Neurologie des Bewusstseins ist nach meiner Auffassung rund um die Gehirnstrukturen organisiert, die an der Erzeugung der Dreiheit von Wachzustand, Geist und Selbst mitwirken. Beteiligt sind insbesondere drei große anatomische Abschnitte: Hirnstamm, Thalamus und Großhirnrinde. Man muss aber bedenken, dass es zwischen den einzelnen anatomischen Strukturen und den Bestandteilen der Dreiheit keine exakte Zuordnung gibt. Alle drei Gehirnteile tragen zu einigen Aspekten von Wachzustand, Geist und Selbst bei.
Der Thalamus
Bewusstsein wird häufig als das Ergebnis der umfangreichen Integration von Signalen aus vielen Gehirnbereichen beschrieben; die größte Rolle spielt in dieser Beschreibung der Thalamus. Er leistet zweifellos wichtige Beiträge für die Schaffung einer Grundstruktur des Geistes und für
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