Selbst ist der Mensch
begleitet, wobei mir aber auffällt, dass die Aufführung auch innerhalb des geistigen Prozesses stattfindet. Wenn nicht der Ozean, sondern tatsächlich ein Musikstück das wichtigste Objekt meines Bewusstseins ist, läuft die Musik in meinem Geist zweispurig ab: einerseits das Stück von Bach, das gerade gespielt wird, und andererseits eine musikähnliche Spur, mit der ich in der Sprache von Emotionen und Gefühlen auf die tatsächliche Musik reagiere. Diese ist nichts anderes als die Qualia I für eine Musikaufführung – man könnte sie als Musik über Musik bezeichnen. Vielleicht bezog die polyphone Musik ihre Anregung aus einer Ahnung davon, wie sich solche parallelen »musikalischen« Linien im Geist ansammeln.
Bei einer kleinen Zahl realistischer Lebenssituationen kann die obligatorische Begleitung durch Qualia I vermindert sein oder sich sogar überhaupt nicht einstellen. Am harmlosesten wäre hier der Effekt einer Droge, die emotionale Reaktionen abschaltet – man denke an Beruhigungsmittel wie Valium, Antidepressiva wie Prozac oder einen Beta-Blocker wie Propranolol. Sie alle dämpfen in ausreichend hoher Dosierung die Fähigkeit, emotional zu reagieren und in der Folge emotionale Gefühle zu erleben.
Auch bei einer verbreiteten pathologischen Veränderung, der Depression, bleiben emotionale Gefühle aus: Manche Aspekte positiver Gefühle fehlen völlig, und selbst negative Gefühle wie Traurigkeit werden unter Umständen stark gedämpft – ein abgestumpfter affektiver Zustand ist die Folge.
Wie erzeugt das Gehirn den erforderlichen Qualia-I-Effekt? Wie wir in Kapitel 5 bereits erfahren haben, ist das Gehirn parallel zu den Wahrnehmungsapparaten, die jedes beliebige Objekt kartieren, und parallel zu den Regionen, die solche Karten darstellen, mit einer Reihe von Strukturen ausgestattet, die auf Signale aus diesen Karten reagieren und Emotionen hervorbringen, aus denen später Gefühle erwachsen. Zu solchen gefühlsbeladenen Regionen gehören Strukturen, die uns zuvor bereits begegnet sind: die berühmte Amygdala, ein fast ebenso berühmter Bereich des präfrontalen Cortex, der als ventromedialer Sektor bezeichnet wird, sowie eine Reihe von Kernen im basalen Vorderhirn und Hirnstamm.
Wie wir ebenfalls bereits erfahren haben, werden Emotionen auf faszinierende Weise ausgelöst. Die bilderzeugenden Regionen können Signale direkt oder nach weiterer Verarbeitung an sämtliche emotionsauslösenden Regionen übermitteln. Wenn die Zusammenstellung der Signale zu dem Profil passt, auf das eine bestimmte Region aufgrund ihrer Verdrahtung reagiert – das heißt, wenn sie als emotional kompetenter Reiz infrage kommt –, wird in der Folge eine Kaskade von Ereignissen ausgelöst, die sich in anderen Teilen des Gehirns sowie in der Folge auch im Körper selbst abspielen. Das Ergebnis ist eine Emotion, und das Auslesen der Emotion durch die Wahrnehmung ist ein Gefühl.
Das Geheimnis hinter meinem zusammengesetzten Erleben dieses Augenblicks ist die Fähigkeit des Gehirns, auf den gleichen Inhalt (beispielsweise mein Bild des Pazifischen Ozeans) parallel und an unterschiedlichen Stellen anzusprechen. Von einem Gehirnzentrum bekomme ich den emotionalen Prozess, der seinen Höhepunkt in einem Gefühl des Wohlbefindens erreicht, andere Orte im Gehirn liefern verschiedene Gedanken über das heutige Wetter (der Himmel hat nicht ganz die typische glatte Meeresbewölkung, sondern ist eher mit ungleichmäßigen Haufenwolken besetzt) oder über das Meer (das imposant-majestätisch oder offen-einladend aussehen kann, je nachdem, wie die Licht- und Windverhältnisse sind, ganz zu schweigen von der eigenen Stimmungslage) und so weiter.
Ein normaler, bewusster Zustand umfasst in der Regel die Kenntnis einer ganzen Reihe von Objekten, in seltenen Fällen auch nur die eines einzigen. Diese Objekte werden mehr oder weniger gemeinsam gehandhabt, allerdings kaum einmal in einem demokratischen Stil, bei dem jedem Objekt der gleiche Bewusstseinsraum und die gleiche Zeit zugebilligt wird. Verschiedene Bilder haben vielmehr unterschiedliche Werte, und dies führt zu einer ungleichmäßigen Bildverstärkung. Diese ungleichmäßige Verstärkung hat ihrerseits eine »Reihenfolge« der Bilder zur Folge, die man am besten als spontane Form der Bearbeitung bezeichnet. Der Prozess, durch den einzelnen Bildern unterschiedliche Werte zugeordnet werden, beruht zum Teil auf den von ihnen hervorgerufenen Emotionen und den Gefühlen, die darauf
Weitere Kostenlose Bücher