Selbst ist der Mensch
dass Informationen aus dem Körperinneren von zahlreichen chemischen Substanzen unmittelbar an das Gehirn übertragen werden. Diese Substanzen kreisen im Blut und wirken auf Gehirnteile, denen die Blut-Hirn-Schranke fehlt, nämlich auf die Area postrema im Hirnstamm und auf verschiedene Regionen, die zusammenfassend als zirkumventrikuläre Organe bezeichnet werden. Von »zahlreichen« potenziell aktiven Substanzen zu sprechen, ist keine Übertreibung: Eine einfache Liste enthält bereits Dutzende von Beispielen: die üblichen Verdächtigen unter den Transmittern bzw. Modulatoren, das heißt Noradrenalin, Dopamin, Serotonin und Acetylcholin, aber auch viele Hormone, darunter Steroide, Insulin und Opioide. Wenn das Blut diese empfänglichen Areale umspült, werden Neuronen unmittelbar von geeigneten Molekülen aktiviert. Auf diese Weise kann beispielsweise eine Giftsubstanz, die auf die Area postrema einwirkt, eine äußere Reaktion wie das Erbrechen herbeiführen. Aber welche Wirkungen haben die Signale, die von solchen Arealen ausgehen, sonst noch? Einer plausiblen Schätzung zufolge verursachen oder modulieren sie Gefühle. Fortsätze aus diesen Regionen führen in hoher Dichte zum Nucleus tractus solitarius, sie erstrecken sich aber auch zu vielen anderen Kernen in Hirnstamm, Hypothalamus, Thalamus und Großhirnrinde.
Von der Frage der Gefühle abgesehen, erscheint das restliche Qualia-II-Problem leichter zugänglich. Ein Beispiel sind die visuellen Karten. Sie sind Skizzen visueller Eigenschaften wie Form, Farbe, Bewegung oder Tiefe. Solche Karten zu verknüpfen – das heißt, ihre Signale gegenseitig fruchtbar werden zu lassen –, ist das richtige Rezept für die Erzeugung einer gemischten, vieldimensionalen visuellen Szenerie. Fügt man zu dieser Mischung noch die Information aus dem visuellen Portal hinzu – wodurch das Gewebe rund um die Augen in den Prozess einbezogen wird – sowie eine Gefühlskomponente, so kann man mit Fug und Recht ein voll ausgeprägtes, richtig »qualiertes« Erlebnis des Gesehenen erwarten.
Was können wir zu dieser komplexen Mischung noch hinzufügen, um so dem Wahrgenommenen eine wirklich charakteristische Qualität zu verleihen? Das eine hat mit den sensorischen Portalen zu tun, die an der Sammlung der Informationen beteiligt sind. Veränderungen dieser Portale spielen, wie wir gesehen haben, eine Rolle für den Aufbau der Perspektive, sie tragen aber auch zur Erzeugung der Wahrnehmungsqualität bei. Wie? Wir kennen den charakteristischen Klang, wenn Yo-Yo Ma Cello spielt, und wir wissen, wo die akustischen Karten im Gehirn geschaffen werden, aber wir hören die Töne sowohl in unseren Ohren als auch mit unseren Ohren. In den Ohren spüren wir den Klang aller Wahrscheinlichkeit nach deshalb, weil unser Gehirn eifrig zweierlei kartiert: einerseits die Informationen, die aus der gesamten akustischen Signalkette einschließlich der Cochlea zur sensorischen Sonde gelangt, andererseits aber auch die Fülle gleichzeitig eintreffender Signale aus dem Apparat, der das Sinnesorgan umgibt. Zu ihm gehören im Falle des Hörens das Epithel (die Haut) der Ohren, der äußere Gehörgang, das Trommelfell und die Gewebe, die das System der Gehörknöchelchen für die Übertragung der mechanischen Schwingungen an die Cochlea festhalten. Hinzu kommen noch die kleinen und weniger kleinen Kopf- und Halsbewegungen, die wir automatisch ausführen, um den Körper auf die Klangquelle auszurichten. Dies ist, was das Hören angeht, die Entsprechung zu den beträchtlichen Veränderungen, die sich während des Hinsehens und Sehens in den Augäpfeln sowie im umgebenden Muskel- und Hautgewebe abspielen, und es fügt dem Wahrgenommenen eine qualitative Beschaffenheit hinzu.
Durch entsprechende Mechanismen entstehen auch die Gefühle des Riechens, Schmeckens und Tastens. Unsere Nasenschleimhaut enthält beispielsweise olfaktorische Nervenenden, die unmittelbar auf die Konformation der Geruchsstoffmoleküle ansprechen – auf diesem Weg kartieren wir Düfte, und wir sorgen dafür, dass Jasmin oder Chanel No. 19 unserem Selbst begegnen. Wo wir aber den Duft spüren, hängt von anderen Nervenenden in der Nasenschleimhaut ab, nämlich von denen, die gereizt werden, wenn wir zu viel Wasabi auf die Sushi-Röllchen gestrichen haben und niesen müssen.
Und schließlich stellen wir fest, dass Nervenfortsätze vom Gehirn auch in umgekehrter Richtung zur Peripherie des Körpers verlaufen, unter anderem zu jenen
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