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Selbst ist der Mensch

Selbst ist der Mensch

Titel: Selbst ist der Mensch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Damasio
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Teilen der Peripherie, die spezialisierte Sinnesorgane enthält. Dies könnte für einen Sinnesprozess wie das Hören durchaus in abgeschwächter Form einen ähnlichen Effekt haben wie die Schleife zwischen Hirnstamm und Körper für das Fühlen: Es stellt eine funktionelle Kopplung dar, welche die Kluft zwischen dem Gehirn und den Ausgangspunkten der sensorischen Ketten in der Körperperipherie mit ihren Organen überbrückt. Die auf das Gehirn zielenden Input-Kaskaden würden demnach durch Output-Kaskaden ergänzt, die gerade auf jenes »Fleisch« zielen, in dem die Signale ihren Ursprung haben, womit sie zur Integration von Innen- und Außenwelt beitragen. Dass es solche Anordnungen gibt, wissen wir – eines der wichtigsten Beispiele ist der Hörapparat. Die Cochlea nimmt Rückkopplungssignale aus dem Gehirn auf, und die sind so stark, dass die Haarzellen der Cochlea bei einem Ungleichgewicht des Rückkopplungsmechanismus tatsächlich Töne aussenden können, statt sie zu übertragen, wie es ihrer normalen Aufgabe entspricht. Über die Schaltkreise der Sinnesmechanismen besitzen wir jedoch nur unvollständige Kenntnisse. 11
    Nach meiner Überzeugung lässt sich das Problem mit vorstehenden Ausführungen zum größten Teil erklären, denn danach werden im Gehirn dreierlei Karten zusammengefügt: erstens Karten einer bestimmten Sinneswahrnehmung, die von dem jeweiligen Sinnesorgan erzeugt wurden, das heißt von einem Anblick, Geräusch, Geruch und so weiter, zweitens Karten der Aktivität im sensorischen Portal, in dem das Sinnesorgan im Körper eingebettet ist, und drittens Karten der emotional-gefühlsmäßigen Reaktionen auf die Karten, die bei 1) und 2) erzeugt wurden, also auf Qualia-I-Reaktionen. Solche Wahrnehmungen entstehen in dieser Form, wenn verschiedenartige sensorische Signale in den geisterzeugenden Karten des Hirnstamms oder der Großhirnrinde zusammenfließen. 12

Qualia und Selbst
     
    Wie passen die Qualia I und II zum Selbst-Prozess? Da beide Aspekte der Qualia zum Aufbau des Geistes beitragen, gehören sie zu den Inhalten, die als Selbst-Prozess bezeichnet werden, der Aufbau des Selbst, der den Aufbau des Geistes erhellt. Ein wenig paradox ist dabei allerdings, dass die Qualia II auch die Grundlage für das Protoselbst bilden und dabei in einer Art Übergangsposition zwischen Geist und Selbst angesiedelt sind. Die neuronalen Konstruktionen, die Qualia möglich machen, liefern dem Gehirn gefühlte Wahrnehmung, ein Gespür für das reine Erleben. Nachdem zu dem Prozess ein Protagonist hinzugekommen ist, nimmt der damit neu geschaffene Eigentümer, das Selbst, das Erlebnis in Besitz.

Ein unvollendetes Projekt
     
    Das Vorhaben, verstehen zu wollen, wie das Gehirn einen bewussten Geist aufbaut, bleibt unvollendet. Das Geheimnis des Bewusstseins ist nach wie vor ein Geheimnis, auch wenn wir ein wenig weiter vorgedrungen sind. Aber für die Behauptung, wir hätten es gelüftet, ist es noch zu früh.
    Diskussionen über die neurologischen Grundlagen des Bewusstseins und das Geist-Gehirn-Problem leiden in der Regel daran, dass zweierlei Dinge gewaltig unterschätzt werden. Zum einen wird der Detail- und der Organisationsfülle des Körpers nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt, das heißt der Tatsache, dass es im Körper unzählige Mikrohaken und Mikroösen gibt und dass Mikrowelten aus Form und Funktion als Signale an das Gehirn übermittelt und kartiert werden, so dass die Ergebnisse für die verschiedensten Zwecke nutzbar gemacht werden können.
    Der wichtigste Zweck dieser Signale ist wahrscheinlich die Regulation – das Gehirn muss Informationen über den Zustand der Systeme im Körper erhalten, damit es bewusst oder unbewusst eine angemessene Reaktion organisieren kann. Das offenkundige Ergebnis solcher Signale sind Gefühle von Emotionen, Gefühle spielen heute aber auch in unserem bewussten Leben und in unseren sozialen Beziehungen eine überragende Rolle. Aus den gleichen Gründen ist es durchaus möglich und sogar wahrscheinlich, dass sich auch andere Vorgänge im Körper – von denen manche bereits bekannt sind, andere noch zu entdecken bleiben – auf vielen Ebenen als Ausgangspunkt wichtiger Einflüsse auf unser bewusstes Erleben erweisen werden.
    Das Zweite, was unterschätzt wird, ist das Gehirn selbst. Die Vorstellung, wir wüssten genau, was das Gehirn ist und was es tut, ist pure Torheit. Andererseits wissen wir aber jedes Jahr mehr als im Jahr zuvor, und wir wissen heute viel,

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