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Selbst ist der Mensch

Selbst ist der Mensch

Titel: Selbst ist der Mensch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Damasio
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ebenfalls Einzeller, aber ihre DNA war nicht in einem Zellkern zusammengefasst. Einzelzellen mit einem Zellkern waren ein Fortschritt. Diese Lebensformen werden mit dem Fachbegriff als Eukaryonten bezeichnet, und sie gehören zur großen Gruppe der Protozoen. Solche Zellen waren damals, in der Frühzeit des Lebendigen, die ersten wirklich unabhängigen Organismen.Jede von ihnen konnte einzeln und ohne symbiontische Partnerschaften überleben. Ganz ähnliche einfache Einzeller begleiten uns auch heute noch. Gute Beispiele sind die lebhafte Amöbe und das großartige Pantoffeltierchen (Paramecium). 1
    Eine einzelne Zelle hat ein Körpergerüst (das Cytoskelett), und in ihrem Inneren befinden sich ein Zellkern (die Kommandozentrale mit der DNA) und das Cytoplasma (wo unter der Kontrolle von Organellen wie den Mitochondrien die Umwandlung von Nährstoffen in Energie stattfindet). Abgegrenzt wird jeder Körper durch eine Haut, und eine solche hat auch die Zelle: Die Abgrenzung zwischen ihrem Inneren und der Außenwelt wird Zellmembran genannt.
    Ein Einzeller gibt in vielerlei Hinsicht einen Vorgeschmack auf spätere Organismen wie den unseren. Man kann in ihnen eine Art skizzenhafte Abstraktion unserer selbst sehen. Das Cytoskelett ist – genau wie unser Knochenskelett – Gerüst und formgebendes Element des eigentlichen Körpers. Das Cytoplasma entspricht dem Körperinneren mit allen seinen Organen. Der Zellkern ist die Entsprechung zum Gehirn. Die Zellmembran ist die Entsprechung zur Haut. Manche Einzeller haben sogar eine Entsprechung zu Gliedmaßen: die Cilien, die ihnen durch koordinierte Bewegungen das Schwimmen ermöglichen.
    Die verschiedenen Bestandteile einer Eukaryontenzelle sind aus der Kooperation einfacher Einzellebewesen hervorgegangen: Bakterien gaben ihre Unabhängigkeit auf und wurden Teile eines nützlichen neuen Ganzen. Bakterien eines bestimmten Typs wurden zu Mitochondrien, ein anderer Typ, vielleicht Spirochäten, trug zum Cytoskelett sowie (bei schwimmenden Zellen) zu den Cilien bei und so weiter. 2 Erstaunlich ist dabei, dass unser vielzelliger Organismus auf den gleichen Grundprinzipien beruht: Milliarden Zellen finden sich zusammen und bilden Gewebe, verschiedenartige Gewebe werden zu Organen zusammengesetzt und verschiedene Organe zu Organsystemen verknüpft. Die Gewebe sind beispielsweise die Epithelien der Haut, Schleimhäute und endokrinen Drüsen, Muskelgewebe, Nervengewebe und das Bindegewebe, das alles andere zusammenhält. Beispiele für Organe sind allgemein bekannt, vom Herzen über den Darm bis zum Gehirn. Zu den Organsystemen gehören das Ensemble aus Herz, Blut und Blutgefäßen (das Kreislaufsystem), das Immunsystem und das Nervensystem. Aufgrund solcher auf Kooperation beruhender Anordnungen ist unser Organismus ein höchst differenzierter Komplex aus Billionen Zellen unterschiedlicher Typen, darunter natürlich die Neuronen als besonders charakteristische Bausteine des Gehirns. Über Neuronen und Gehirn werden wir in Kürze mehr erfahren.
    Der wichtigste Unterschied zwischen den Zellen der vielzelligen Organismen (Metazoen) und der Einzeller besteht darin, dass Einzelzellen für sich selbst sorgen müssen, während die Zellen vielzelliger Lebewesen in einer höchst vielgestaltigen, komplexen Gesellschaft zu Hause sind. Viele Aufgaben, die ein Einzeller allein bewältigen muss, sind in vielzelligen Organismen auf spezialisierte Zelltypen aufgeteilt. Die Aufgabenverteilung ist grundsätzlich vergleichbar mit den verschiedenen Funktionseinheiten in jeder einzelnen Zelle. Vielzellige Lebewesen bestehen aus zahlreichen kooperativ organisierten Einzellern, die ursprünglich aus einer Kombination noch kleinerer Einzellebewesen entstanden sind. In der Ökonomie eines Vielzellers gibt es viele einzelne Bereiche, und in jedem dieser Bereiche wirken die Zellen zusammen. Wenn dies vertraut klingt und an die menschliche Gesellschaft denken lässt, ist das beabsichtigt. Die Ähnlichkeiten sind verblüffend.
    Die Steuerung der Organsysteme vielzelliger Organismen ist stark dezentralisiert, es gibt aber Zentren mit besonders großen Analyse- und Entscheidungsfähigkeiten wie das Hormonsystem und das Gehirn. Dennoch haben alle Zellen eines vielzelligen Organismus (einschließlich unseres eigenen) bis auf wenige Ausnahmen die gleichen Bestandteile wie ein Einzeller – Membran, Cytoskelett, Cytoplasma, Zellkern. (Eine solche Ausnahme sind die roten Blutzellen, deren kurzes, nur 120 Tage

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