Selbst ist der Mensch
währendes Leben dem Hämoglobintransport gewidmet ist: Sie verfügen über keinen nennenswerten Zellkern.) Außerdem haben alle diese Zellen – genau wie ein großer Organismus – einen vergleichbaren Lebenszyklus mit Geburt, Entwicklung, Alterung und Tod. Das Leben eines einzigen menschlichen Organismus ist aus einer Vielzahl gleichzeitig ablaufender, fein säuberlich sortierter Leben aufgebaut.
So einfach die Einzeller auch waren und sind, sie besaßen offenbar eine unerschütterliche Entschlossenheit, so lange am Leben zu bleiben, wie es ihnen die Gene in ihrem mikroskopisch kleinen Zellkern befahlen. Zu ihren Lebensprinzipien gehörte das hartnäckige Bestreben, durchzuhalten und sich durchzusetzen, bis einige Gene im Zellkern den Lebenswillen aufgaben und die Zelle sterben ließen.
Ich weiß, dass es schwierig ist, sich im Zusammenhang mit einer einzelnen, einsamen Zelle »Wünschen« und »Wollen« vorzustellen. Wie können Einstellungen und Absichten, die wir mit dem bewussten menschlichen Geist in Verbindung bringen und die nach unserer Intuition aus der Tätigkeit eines großen Menschengehirns erwachsen, bereits auf einer so elementaren Ebene vorhanden sein? Und doch sind sie da, ganz gleich, mit welchem Namen man solche Verhaltensmerkmale einer Zelle belegen will. 3
Ohne bewusstes Wissen, ohne Zugang zu einem Denkapparat wie unserem Gehirn, scheint der Einzeller nur ein einziges Ziel zu haben: Er will leben, solange seine genetische Ausstattung es ihm erlaubt. Es mag seltsam erscheinen, aber das Wollen und alles, was zu seiner Umsetzung notwendig ist, war früher da als explizites Wissen und Nachdenken über die Lebensbedingungen, denn der Einzeller besitzt eindeutig keines von beiden. Zellkern und Cytoplasma wirken zusammen und führen komplizierte Berechnungen aus mit dem Ziel, die Zelle am Leben zu erhalten. Sie setzen sich jeden Augenblick neu mit den Problemen auseinander, vor die sie durch die Lebensbedingungen gestellt werden, und passen die Zelle so an die Situation an, dass sie überleben kann. Je nach den Umweltbedingungen ändern sie Lage und Verteilung der Moleküle in ihrem Inneren, und sie verändern die Form der Unterbestandteile, beispielsweise der Mikrotubuli, wobei sie eine erstaunliche Präzision an den Tag legen. Sie sprechen auf Unannehmlichkeiten und auch auf gute Behandlung an. Natürlich wurden die Zellbestandteile, die Anpassungen vornehmen, vom genetischen Material der Zelle bereitgestellt und mit Anweisungen versehen.
In der Regel glauben wir nur allzu gern, die Verhaltensweisen, Absichten und Strategien hinter unserem vielschichtigen Lebensmanagement seien unserem großen Gehirn und unserem komplexen, bewussten Geist entsprungen. Warum auch nicht? Die Prozesse von der Spitze der Pyramide und aus Sicht der heutigen Umstände zu betrachten, ist eine vernünftige, sparsame Methode, um sich ihre Geschichte auszumalen. In Wirklichkeit aber hat der bewusste Geist nur dafür gesorgt, dass wir das Knowhow für unser grundlegendes Lebensmanagement, nun ja, kennen können. Wie wir noch genauer erfahren werden, kommen die entscheidenden Beiträge des bewussten Geistes zur Evolution erst auf einer sehr viel höheren Ebene hinzu; sie haben mit gezielten, überlegten Entscheidungsprozessen und kulturellen Hervorbringungen zu tun. Ich will damit keinesfalls die Bedeutung dieses hohen Niveaus des Lebensmanagements kleinreden. Es ist sogar einer der Hauptgedanken in diesem Buch, dass der bewusste Geist der Menschen die Evolution gerade dadurch in eine neue Richtung gelenkt hat, dass er uns Wahlmöglichkeiten zur Verfügung stellt. Damit macht er eine relativ flexible soziokulturelle Steuerung möglich, die über die komplexe soziale Organisation, wie sie beispielsweise die sozialen Insekten so eindrucksvoll zeigen, hinausgeht. Ich drehe vielmehr die traditionelle Betrachtungsreihenfolge für das Bewusstsein um und gehe davon aus, dass ein verstecktes Wissen über das Lebensmanagement früher vorhanden war als das bewusste Erleben solcher Kenntnisse. Außerdem sage ich: Dieses versteckte Wissen ist recht kompliziert, und man sollte es nicht für primitiv halten. Es beinhaltet eine gewaltige Komplexität, und seine scheinbare Intelligenz ist bemerkenswert.
Damit stufe ich das Bewusstsein nicht herab, aber mit Sicherheit stufe ich die nichtbewusste Lebensverwaltung herauf, und ich äußere die Vermutung, dass sie die Blaupause für Einstellungen und Absichten des bewussten Geistes
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