Selbst ist der Mensch
Apparat auch dafür verwendet, den Organismus zu Fortpflanzungsverhalten und damit zur Weitergabe seiner Gene zu animieren. Beispiele sind sexuelle Anziehung, Sexualtrieb und Paarungsrituale. Oberflächlich betrachtet, wurden die Verhaltensweisen für die Regulation von Leben und Fortpflanzung getrennt, aber beide dienen dem gleichen übergeordneten Ziel; deshalb ist es nicht verwunderlich, dass beide auch über gemeinsame Mechanismen verfügen.
Im Laufe der Evolution wurden die der Homöostase zugrunde liegenden Programme immer komplexer, vor allem was die Bedingungen für ihr Eingreifen und die Bandbreite der Ergebnisse anging. Aus diesen komplexeren Programmen entwickelte sich das, was wir heute als Triebe, Motivation und Gefühle bezeichnen (siehe Kapitel 5).
Kurz gesagt, ist die Homöostase auf die Mithilfe von Trieben und Motivationen angewiesen; diese werden von einem komplexen Gehirn in großer Zahl bereitgestellt, mithilfe von Voraussicht und Vorhersage eingesetzt und in der Erkundung der Umwelt angewandt. Die Menschen verfügen sicher über das am höchsten entwickelte Motivationssystem – einschließlich einer unbändigen Neugier, eines endlosen Entdeckerdrangs und raffinierter Warnsysteme mit Blick auf zukünftige Bedürfnisse. Alles ist dazu da, uns auf der guten Seite des Lebens zu halten.
Die Verbindung zwischen Homöostase, Wert und Bewusstsein
Alle Gegenstände oder Handlungen, denen wir einen Wert zuerkennen, stehen in direktem oder indirektem Zusammenhang mit der Möglichkeit, einen Homöostasebereich im Inneren von Lebewesen aufrechtzuerhalten. Außerdem wissen wir, dass bestimmte Abschnitte und Konstellationen des Homö ostasebereichs mit einer optimalen Lebenssteuerung einhergehen, während andere weniger effizient sind und wieder andere sich in der Nähe der Gefahrenzone befinden. In der Gefahrenzone drohen Krankheit oder Tod. Es leuchtet also ein, dass Gegenstände und Abläufe, die auf diese oder jene Weise letztlich für eine optimale Lebenssteuerung sorgen, als besonders wertvoll anzusehen sind. 9
Wie Menschen den optimalen Abschnitt des Homöostasebereichs herausfinden, wissen wir bereits. Wir brauchen unsere Blutwerte dazu nicht in einem medizinischen Labor untersuchen zu lassen. Die Diagnose erfordert keine besonderen Fachkenntnisse, sondern nur den grundlegenden Vorgang des Bewusstseins: Optimale Bereiche finden ihren Ausdruck im bewussten Geist als angenehme Gefühle ; gefährliche Bereiche äußern sich als weniger angenehme oder sogar schmerzhafte Gefühle.
Kann man sich ein transparenteres Wahrnehmungssystem vorstellen? Die optimale Funktion eines Organismus, die zu effizienten, harmonischen Lebensvorgängen führt, bildet den eigentlichen Nährboden für unsere ursprünglichen Gefühle von Wohlbefinden und Lust. Sie sind die Grundlage für den Zustand, den wir in einem recht hoch entwickelten Umfeld als Glück bezeichnen. Das Gegenteil sind die unorganisierten, ineffizienten, unharmonischen Lebenszustände; diese Vorboten von Krankheit und Systemversagen sind das Substrat der negativen Gefühle, von denen es, wie Tolstoi richtig beobachtete, viel mehr verschiedene Formen gibt als von dem positiven Typ – eine unendliche Palette von Schmerzen und Leiden, nicht zu reden von Ekel, Ängsten, Wut, Traurigkeit, Scham, Schuldgefühlen und Verachtung.
Wie wir noch hören werden, ist der definierende Aspekt unserer Gefühle die bewusste Wahrnehmung unserer Körperzustände, die von Emotionen modifiziert werden; das ist der Grund, warum Gefühle als Barometer des Lebensmanagements dienen können. Ebenso ist es der – nicht überraschende – Grund, warum Gefühle die Gesellschaften und Kulturen mit allen ihren Funktionen und Hervorbringungen beeinflusst haben, seit sie von den Menschen bemerkt wurden. Aber schon lange bevor das Bewusstsein heraufdämmerte und sich bewusste Gefühle entwickelten, ja sogar schon vor den ersten Anfängen des Geistes als solchem beeinflusste die Konfiguration chemischer Parameter bereits individuelle Verhaltensweisen einfacher Lebewesen, die kein Gehirn besaßen, das diese Parameter hätte repräsentieren können. Das alles ist durchaus plausibel: Geistlose Lebewesen mussten sich auf chemische Parameter verlassen, die ihnen als Richtschnur für ihre lebenserhaltenden Aktivitäten dienten. Diese »blinde« Führung führte zu Verhaltensweisen von beträchtlicher Raffinesse. Das Wachstum verschiedener Bakterienarten in einer Kolonie wird durch solche
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