Selbst ist der Mensch
der das Überleben ermöglicht. Die ständige Repräsentation chemischer Parameter im Gehirn ermöglicht es den unbewussten Gehirnmechanismen, Abweichungen vom Homöostasebereich wahrzunehmen und zu messen , so dass sie als Sensoren für das Ausmaß des inneren Bedürfnisses fungieren können. Die gemessene Abweichung vom Homöostasebereich schafft ihrerseits für andere Gehirnmechanismen die Möglichkeit, Korrekturvorgänge in Gang zu setzen und, je nachdem wie dringend die Reaktion ist, Korrekturen schnell oder langsam auszuführen. Eine einfache Aufzeichnung solcher Abläufe bildet die Grundlage für die Voraussage zukünftiger Verhältnisse.
In einem Gehirn, das innere Zustände in Form von Karten repräsentieren kann und möglicherweise über Geist und Bewusstsein verfügt, entsprechen die mit dem Homöostasebereich verbundenen Parameter auf einer bewussten Verarbeitungsebene den Erlebnissen von Schmerz und Freude. Später können solche Erfahrungen in einem Gehirn, das Sprachfähigkeit besitzt, mit bestimmten linguistischen Etiketten versehen und mit Namen benannt werden: Freude, Wohlbefinden, Unwohlsein, Schmerz.
Schlägt man in einem der üblichen Wörterbücher das Wort Wert nach, so findet man häufig eine Definition wie die folgende: »relativer Wert (finanziell, materiell oder anderer); Verdienst; Bedeutung; Tauschmedium; Menge von etwas, das man gegen etwas anderes eintauschen kann; die Qualität, die eine Sache wünschenswert oder nützlich macht; Nutzen; Kosten; Preis«. Wie man leicht erkennt, ist der biologische Wert die Wurzel aller dieser Bedeutungen.
Der Erfolg unserer frühen Vorfahren
Was machte die Organismen-Vehikel so ungeheuer erfolgreich? Wie wurde der Weg für komplexe Lebewesen wie uns geebnet? Eine wichtige Voraussetzung dafür, dass wir auf der Bildfläche erscheinen konnten, war offensichtlich etwas, das wir und andere Tiere besitzen, Pflanzen aber nicht: Beweglichkeit . Pflanzen haben Tropismen: Manche von ihnen können sich in Richtung der Sonne oder in Richtung des Schattens drehen, und einige, so die fleischfressende Venusfliegenfalle, fangen sogar unaufmerksame Insekten, aber keine Pflanze kann sich entwurzeln und sich in einem anderen Teil des Gartens ein besseres Umfeld suchen. Dies muss der Gärtner für sie tun. Die Tragödie der Pflanzen – von der sie allerdings nichts wissen – besteht darin, dass ihre Zellen in ein Korsett gezwängt sind und ihre Form niemals so verändern konnten, dass daraus Neuronen geworden wären. Pflanzen haben keine Neuronen, und ohne Neuronen gibt es keinen Geist.
Bei unabhängigen Lebewesen, die kein Gehirn besaßen, entwickelte sich noch eine andere wichtige Eigenschaft: die Fähigkeit, Veränderungen der physiologischen Bedingungen innerhalb ihrer selbst und in ihrer Umgebung wahrzunehmen . Schon Bakterien reagieren sowohl auf das Sonnenlicht als auch auf unterschiedlichste Moleküle: Bakterien in einer Petrischale sprechen auf einen Gifttropfen an, bilden einen Klumpen und weichen vor der Gefahr zurück. Eukaryontenzellen spürten auch die Entsprechung zu Berührung und Vibrationen. Die Veränderungen, die im Inneren des Organismus oder in der unmittelbaren Umgebung wahrgenommen wurden, konnten zu Bewegungen von einem Ort zum anderen führen. Um aber auf eine Situation effizient reagieren zu können, musste das Gehirnäquivalent der Einzeller auch ein Reaktionsmuster beinhalten, eine Reihe äußerst einfacher Regeln, nach denen es die »Entscheidung für die Bewegung« trifft, wenn bestimmte Voraussetzungen gegeben sind.
Kurz gesagt, konnten einfache Organismen nur dann Erfolg haben und ihren Genen die Reise in die nächste Generation ermöglichen, wenn sie folgende Minimaleigenschaften besaßen: Sie mussten das Innere und die Umgebung des Organismus wahrnehmen , Regeln für Reaktionen besitzen und beweglich sein. Das Gehirn entwickelte sich als Apparat, der die Tätigkeiten Wahrnehmen, Entscheiden und Bewegen verbessern und immer effizienter und differenzierter ausführen konnte.
Die Beweglichkeit verfeinerte sich irgendwann dank der Entwicklung der quergestreiften Muskulatur, jener Muskeln, derer wir uns heute beim Gehen und Sprechen bedienen. Wie wir in Kapitel 3 noch genauer erfahren werden, erhöhte sich die Wahrnehmung des Körperinneren – heute sprechen wir von Interozeption – auf eine große Zahl von Parametern (zum Beispiel Temperatur, pH, Vorhandensein oder Fehlen zahlreicher chemischer Substanzen, Spannung der
Weitere Kostenlose Bücher