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Selbst ist der Mensch

Selbst ist der Mensch

Titel: Selbst ist der Mensch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Damasio
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glatten Muskelfasern). Und bei der Wahrnehmung der Außenwelt kamen Geruch, Geschmack, Tastsinn, Hören und Sehen hinzu, die wir in ihrer Gesamtheit als Exterozeption bezeichnen.
    Damit Bewegung und Wahrnehmung dem Organismus einen möglichst großen Vorteil verschaffen, müssen die Reaktionsregeln einem umfassenden Businessplan ähneln, der unausgesprochen die Bedingungen skizziert, die hinter den Regeln stehen. Genau so funktioniert die Homöostase , die wir bei Lebewesen aller Komplexitätsebenen finden: Eine Sammlung von Handlungsrichtlinien, die der Organismus befolgen muss, damit er seine Ziele erreicht. Von ihrem Wesen her sind diese Richtlinien sehr einfach: Wenn dies der Fall ist, tue jenes.
    Wenn man das Schauspiel der Evolution betrachtet, staunt man immer wieder über ihre vielen Errungenschaften. Ein Beispiel ist die erfolgreiche Entwicklung der Augen – nicht nur Augen wie unsere, sondern auch andere Augentypen, die ihre Aufgabe mit geringfügig anderen Mitteln erfüllen. Nicht weniger erstaunlich ist das Wunder der Echoorientierung, mit deren Hilfe Fledermäuse und Schleiereulen in völliger Dunkelheit auf die Jagd gehen können, wobei sie sich in drei Dimensionen durch eine ausgezeichnete akustische Ortung leiten lassen. Nicht weniger spektakulär ist die Evolution von Reaktionsregeln, die einen Organismus zum Zustand der Homöostase führen.
     
    Sinn und Zweck der Reaktionsregeln ist die Herstellung der Homöostase. Aber wie bereits erwähnt, ist selbst angesichts eines solchen eindeutigen Ziels noch etwas anderes notwendig, damit derartige Regeln effizient umgesetzt werden. Wenn eine bestimmte Aktivität zügig und korrekt ablaufen soll, muss es einen Anreiz geben, so dass bestimmte Reaktionen unter bestimmten Umständen gegenüber anderen bevorzugt werden. Warum? Weil lebendes Gewebe manchmal auf so schlimme Bedingungen trifft, dass sofortiges und entschlossenes Handeln erforderlich ist, und natürlich muss eine solche Blitz-Korrektur schnell vollzogen werden. Manchmal ergeben sich so gute Gelegenheiten für Verbesserungen für das lebende Gewebe, dass man sie sofort beim Schopf packen und umsetzen muss. Hier finden wir den tieferen Sinn für das, was wir aus unserer menschlichen Sicht Belohnung und Bestrafung nennen, die Hauptakteure im Tanz des motivierten Ausprobierens. Wichtig ist dabei, dass keiner dieser Abläufe einen Geist erfordert, von einem bewussten Geist ganz zu schweigen. Es gibt kein formelles »Subjekt« innerhalb oder außerhalb eines Organismus, das Belohnungen oder Bestrafungen verteilen würde. Vielmehr werden »Belohnungen« und »Bestrafungen« gemäß den Reaktionsregeln verabreicht. Das Fehlen eines Geistes und eines Selbst verträgt sich völlig mit spontanen, unausgesprochenen »Absichten« und »Zwecken«. Die grundlegende »Absicht« einer solchen Konstruktion besteht darin, Struktur und Zustand aufrechtzuerhalten, aber aus mehreren solchen Absichten kann man ein übergeordnetes »Ziel« ableiten: das Überleben.
    Nach meiner Vermutung sind also Anreiz mechanismen notwendig, damit das Verhalten erfolgreich in eine Richtung gelenkt wird, was zur erfolgreichen, wirtschaftlichen Umsetzung des »Geschäftsplans« der Zelle führt. Außerdem nehme ich an, dass Anreizmechanismen und Richtungsweisung nicht aus bewusster Entschlossenheit und Überlegung erwachsen. Es gab kein explizites Wissen und kein Selbst, das hätte entscheiden können.
    Die Leitungsfunktion der Anreizmechanismen wurde von geistbegabten, bewussten Organismen wie uns allmählich als solche erkannt. Der bewusste Geist legt einfach offen, was es als evolutionsbedingte Mechanismen der Lebenssteuerung schon seit Langem gab. Aber der bewusste Geist hat den Mechanismus nicht geschaffen. Mit anderen Worten: Die Wirklichkeit stellt unsere Intuition auf den Kopf. Der historische Ablauf war in Wahrheit umgekehrt.

Entwicklung von Anreizen
     
    Wie haben sich die Anreize entwickelt? Ihre Anfänge haben sie in einfachen Organismen, sehr deutlich erkennt man sie aber bei Lebewesen, deren Gehirn das Ausmaß des Bedarfs für eine bestimmte Korrektur erkennen kann. Für eine solche Messung brauchte das Gehirn eine Repräsentation erstens des derzeitigen Zustandes des lebenden Gewebes sowie zweitens des wünschenswerten Zustandes des lebenden Gewebes im Hinblick auf das Ziel der Homöostase und drittens einen einfachen Vergleich. Zu diesem Zweck entwickelte sich eine Art innerer Messlatte, die angibt, wie weit das Ziel vom

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