Selbst ist der Mensch
derzeitigen Zustand entfernt ist, und gleichzeitig wurden chemische Substanzen herangezogen, die bestimmte Reaktionen beschleunigten und so die Korrektur erleichterten. Auch heute noch spüren wir unsere Körperzustände als Teilstriche auf einer solchen Skala; das geschieht zwar unbewusst, aber die Folgen der Messung werden uns ziemlich bewusst, beispielsweise wenn wir uns hungrig, sehr hungrig oder überhaupt nicht hungrig fühlen.
Was wir heute als Schmerz oder Freude, Bestrafung oder Belohnung wahrnehmen, entspricht unmittelbar den zusammengefassten Zuständen des lebenden Gewebes in einem Organismus, die während des normalen Lebensablaufes aufeinanderfolgen. Die Kartierung von Zuständen im Gehirn, bei denen die Parameter der Gewebe signifikant und in einer nicht dem Überleben dienlichen Richtung vom Homöostasebereich abweichen, wird mit einer Qualität erfahren, die wir als Schmerz und Bestrafung bezeichnen. Arbeiten die Gewebe umgekehrt im besten Abschnitt des Homöostasebereiches, wird die Kartierung der zugehörigen Zustände im Gehirn mit einer Qualität erlebt, die wir heute Freude oder Belohnung nennen.
Die Stoffe, die an der Koordination solcher Gewebezustände mitwirken, nennt man Hormone und Neuromodulatoren. Sie waren bereits in einfachen, nur aus einer Zelle bestehenden Organismen vorhanden. Wie solche Moleküle wirken, wissen wir. Steht zum Beispiel in einem Organismus mit einem Gehirn die Gesundheit eines bestimmten Gewebes wegen einer gefährlich schlechten Nährstoffversorgung auf dem Spiel, nimmt das Gehirn diese Veränderung wahr, stuft die Notwendigkeit ein und beurteilt, mit welcher Dringlichkeit die Abweichung korrigiert werden muss. Dies geschieht unbewusst, aber in einem mit Geist und Bewusstsein ausgestatteten Gehirn kann der Zustand, der mit dieser Information einhergeht, bewusst werden. Wenn das geschieht, erlebt das betreffende Individuum ein negatives Gefühl, wobei das Spektrum von Unwohlsein bis zu Schmerz reichen kann. Unabhängig davon, ob der Prozess ins Bewusstsein dringt, wird zur Korrektur eine Kette chemischer und neuronaler Reaktionen in Gang gesetzt, unterstützt von Molekülen, die den ganzen Prozess beschleunigen. Im Fall des bewussten Gehirns hat ein solcher molekularer Ablauf aber nicht nur eine Korrektur des Ungleichgewichts zur Folge: Gleichzeitig verringert sich auch das negative Erlebnis (z. B. Schmerz), und ein Gefühl von Freude/Belohnung stellt sich ein. Letzteres ergibt sich zum Teil aus dem lebensfreundlichen Zustand, den das Gewebe jetzt unter Umständen erreicht hat. Letztlich versetzt schon die Tätigkeit der Anreizmoleküle den Organismus in eine funktionelle Konfiguration, die mit angenehmen Zuständen einhergeht.
Wichtig war auch die Entstehung von Gehirnstrukturen, die feststellen können, ob dem Organismus wohl eher Positives oder Negatives bevorsteht. Insbesondere nahm das Gehirn nun nicht mehr nur das Positive oder Negative selbst wahr, sondern es bediente sich verschiedener Indizien, um sie vorherzusagen . Ein bevorstehender Nutzen wurde durch die Ausschüttung von Molekülen wie Dopamin oder Oxytocin angekündigt, eine bevorstehende Gefahr durch das Cortisol-Releasinghormon oder Prolactin. Die Ausschüttung solcher Substanzen optimierte ihrerseits das Verhalten, das notwendig war, um einen Reiz zu erhalten oder zu vermeiden. Ebenso nutzten die Organismen Moleküle zur Ankündigung falscher Hinweise (Vorhersagefehler) und verhielten sich entsprechend; sie differenzierten zwischen dem Eintreffen erwarteter oder unerwarteter Dinge, indem die Neuronen unterschiedlich stark feuerten und entsprechend unterschiedliche Mengen der Moleküle (zum Beispiel Dopamin) ausgeschüttet wurden. Die Gehirne erlangten auch die Fähigkeit, mithilfe von Reizmustern – zum Beispiel sich wiederholenden oder abwechselnden Reizen – vorherzusagen, was als Nächstes geschehen wird. Trafen zwei Reize zufällig kurz hintereinander ein, war dies ein Hinweis auf die Möglichkeit, dass noch ein dritter Reiz folgen könnte.
Was wurde mit diesem ganzen Apparat erreicht? Zunächst einmal eine je nach den Umständen mehr oder weniger dringende – oder anders gesagt: eine differentielle – Reaktion. Und zweitens ermöglichte er Reaktionen, die durch Vorhersagen optimiert wurden.
Die Homöostase und die damit verbundenen Anreiz- und Vorhersagemechanismen schützten die Unversehrtheit des lebenden Gewebes in einem Organismus. Seltsamerweise wird im Wesentlichen der gleiche
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