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Selbst ist der Mensch

Selbst ist der Mensch

Titel: Selbst ist der Mensch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Damasio
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Zivilisationen gründet sich genau auf diese Frage und auf die Notwendigkeit, das Verhalten der Menschen, die sich mit dem Thema beschäftigen, zu lenken. Lebenssteuerung steht hinter vielen Dingen, die in der Biologie im Allgemeinen und beim Menschen im Besonderen einer Erklärung bedürfen: die Existenz eines Gehirns, die Existenz von Schmerzen, Freude, Emotionen und Gefühlen, soziale Verhaltensweisen, Religionen, Wirtschaftssysteme mit ihren Märkten und Finanzinstitutionen, moralisches Verhalten, Gesetze und Justiz, Politik, Kunst, Technologie und Naturwissenschaft – wie man leicht erkennt, eine sehr bescheidene Liste.
    Man kann es auch etwas anders ausdrücken: Leben und die untrennbar mit ihm verbundenen Bedingungen – der ununterdrückbare Überlebenstrieb und das komplizierte Geschäft, das Überleben in einem Organismus aus einer Zelle oder Billionen Zellen zu managen – waren letztlich der ausschlaggebende Grund für das Auftauchen und die Evolution der Gehirne, jener höchst raffinierten Managementapparate, die von der Evolution entwickelt wurden. Damit waren sie auch die Ursache von allem anderen, was auf die Entwicklung immer raffinierterer Gehirne folgte, die sich in immer raffinierteren Körpern befanden, die in einer immer komplexeren Umwelt lebten.
    Betrachtet man so gut wie alle Aspekte der Gehirnfunktionen unter dem Gesichtspunkt dieser Idee – dass Gehirne dazu da sind, das Leben in einem Körper zu managen –, erscheinen die Merkwürdigkeiten und Rätsel mancher traditionellen psychologischen Kategorien (Gefühl, Wahrnehmung, Gedächtnis, Sprache, Intelligenz und Bewusstsein) weniger seltsam und weit weniger rätselhaft. Stattdessen entwickeln sie eine durchschaubare Vernünftigkeit, eine unausweichliche, liebenswerte Logik. Wie, so scheinen diese Funktionen zu fragen, könnten wir angesichts der Aufgaben, die wir zu erfüllen haben, anders sein?

II. Was im Gehirn könnte der Geist sein?
     

3. Wie Karten und Bilder entstehen
     

Karten und Bilder
     
    Das Lebensmanagement ist zwar ohne Frage die Hauptfunktion des menschlichen Gehirns, es ist aber wohl kaum sein charakteristischstes Merkmal. Wie wir bereits erfahren haben, lässt sich Leben auch ohne Nervensystem managen, und erst recht bedarf es dazu keines voll ausgebildeten Gehirns. Schon die bescheidenen Einzeller können recht gut »haushalten«.
    Das charakteristische Merkmal von Gehirnen wie unserem ist ihre geradezu gespenstische Fähigkeit, Landkarten zu erzeugen. Die Kartierung ist für ein hoch entwickeltes Lebensmanagement unentbehrlich; beide gehen Hand in Hand. Wenn das Gehirn Karten erzeugt, informiert es sich. Die in den Karten enthaltene Information kann unbewusst dazu dienen, motorisches Verhalten wirksam zu lenken – eine höchst wünschenswerte Folge angesichts der Tatsache, dass Überleben von richtigem Handeln abhängt. Wenn das Gehirn aber Karten erzeugt, erzeugt es auch Bilder, die wichtigsten Inhalte unseres Geistes. Letztlich versetzt das Bewusstsein uns in die Lage, Karten als Bilder wahrzunehmen, diese Bilder zu bearbeiten und die Vernunft auf sie anzuwenden.
    Karten werden erstellt, wenn wir mit Objekten – einem Menschen, einer Maschine, einem Ort –, die sich außerhalb des Gehirns befinden, in Richtung Hirninneres interagieren. Das Wort Interaktion kann ich nicht genug betonen. Es erinnert uns daran, dass die Kartenerstellung, die, wie oben erwähnt, für die Verbesserung von Handlungen unentbehrlich ist, häufig von vornherein im Umfeld der Handlungen stattfindet. Handlungen und Karten, Bewegungen und Geist sind Teile eines unendlichen Zyklus – eine Idee, die Rodolfo Llinás anschaulich einfing, als er die Geburt des Geistes auf die Steuerung organisierter Bewegungen durch das Gehirn zurückführte. 1
    Karten werden auch erstellt, wenn wir uns aus den Gedächtnisspeichern unseres Gehirns heraus an Objekte erinnern. Und wie die Träume zeigen, hört das Kartenmachen selbst im Schlaf nicht auf. Das Gehirn des Menschen kartiert alle Objekte, die sich außerhalb von ihm befinden, alle Handlungen, die außerhalb von ihm stattfinden, und alle räumlichen und zeitlichen Beziehungen zwischen Objekt und Handlungen, relativ zueinander und zu dem Mutterschiff, das wir den Organismus nennen und das der alleinige Inhaber von Körper, Gehirn und Geist ist. Das Gehirn des Menschen ist ein geborener Kartograph, und begonnen hat die Kartographie mit der Kartierung des Körpers, in dem sich das Gehirn befindet.
    Das

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