Selbst ist der Mensch
so. Wir würden keinen Wert darauf legen, unser Hormon- oder Immunsystem bewusst zu verwalten, denn dann hätten wir keine Möglichkeit, chaotische Schwankungen schnell genug unter Kontrolle zu bringen. Im besten Fall wäre es so, als würde man ein modernes Düsenflugzeug von Hand steuern – was alles andere als eine triviale Tätigkeit ist und voraussetzt, dass man alle Unwägbarkeiten und Manöver beherrscht, um den Verlust von Auftrieb zu verhindern. Schlimmstenfalls wäre es, als würde man die Sozialversicherungsbeiträge auf dem Aktienmarkt investieren. Nicht einmal über etwas so Einfaches wie unsere Atmung würden wir die absolute Kontrolle haben wollen, denn dann würden wir uns vielleicht entschließen, den Ärmelkanal unter Wasser zu durchschwimmen, dabei den Atem anhalten und riskieren, dass wir unterwegs sterben. Glücklicherweise werden unsere automatischen Homöostasemechanismen ein solch törichtes Handeln niemals zulassen.
Das Bewusstsein hat die Anpassungsfähigkeit verbessert und seine Nutznießer in die Lage versetzt, neuartige Lösungen für die Probleme von Leben und Überleben zu schaffen – und das in praktisch jeder nur vorstellbaren Umwelt, überall auf der Erde, hoch in der Luft und im Weltraum, unter Wasser, in Wüsten und Gebirgen. Wir haben uns in unserer Evolution so entwickelt, dass wir uns an eine große Zahl von Nischen anpassen können, und wir sind in der Lage, die Anpassung an eine noch größere Zahl zu erlernen . Uns sind nie Flügel oder Kiemen gewachsen, aber wir haben Maschinen erfunden, die Flügel haben oder uns in die Stratosphäre schießen können, die über die Ozeane fahren oder 20 000 Meilen unter dem Meer zurücklegen. Wir haben die materiellen Voraussetzungen geschaffen, um überall zu leben, wo wir wollen. Das kann die Amöbe nicht; ebenso wenig können es Würmer, Fische, Frösche, Vögel, Eichhörnchen, Katzen, Hunde, ja nicht einmal unsere cleveren Vettern, die Schimpansen.
Als das menschliche Gehirn anfing, den bewussten menschlichen Geist aufzubauen, kam es zu einer grundlegenden Veränderung der Spielregeln. Von einfacher Regulation, die sich auf das Überleben des Organismus konzentrierte, bewegten wir uns allmählich zu einer immer stärker absichtsvollen Regulation. Die Grundlage bildete dabei ein Geist, der mit Identität und Persönlichkeit ausgestattet war und sich nun aktiv nicht nur um das schiere Überleben bemühte, sondern auch um ein bestimmtes Maß von Wohlbefinden. Das war ein großer Sprung, der sich aber, soweit wir es erkennen können, aus einer kontinuierlichen biologischen Entwicklung ergab.
Wenn Gehirne sich in der Evolution durchsetzten, weil sie ein breiteres Spektrum der Möglichkeiten für die Regulation des Lebens boten, setzten sich Gehirnsysteme, die einen bewussten Geist hervorbrachten, deshalb durch, weil sie mit der Form der Regulation, die das Wohlbefinden aufrechterhalten und erweitern kann, die umfassendsten Anpassungs- und Überlebensmöglichkeiten schufen.
Kurz gesagt, haben einzellige Lebewesen mit einem Zellkern einen geistlosen, unbewussten Willen, zu leben und so lange für eine geeignete Regulation dieses Lebens zu sorgen, wie bestimmte Gene es ihnen erlauben. Gehirne erweiterten die Möglichkeiten des Lebensmanagements schon zu einer Zeit, als sie noch keinen Geist hervorbrachten, von einem bewussten Geist ganz zu schweigen. Aus diesem Grund setzten auch sie sich durch. Als Geist und Bewusstsein zu der Mischung hinzukamen, erweiterten sich die Regulationsmöglichkeiten noch weiter und ebneten den Weg für jene Form des Managements, die sich nicht nur in einem Organismus abspielt, sondern über viele Organismen hinweg in einer Gesellschaft. Das Bewusstsein versetzte die Menschen in die Lage, das Leitmotiv der Lebensregulation mittels einer ganzen Sammlung kultureller Instrumente zu wiederholen – wirtschaftlicher Austausch, religiöse Überzeugungen, gesellschaftliche Konventionen und ethische Regeln, Gesetze, Kunst, Wissenschaft und Technologie. Dennoch sind die Überlebensabsicht der Eukaryontenzelle und die Überlebensabsicht, die hinter dem Bewusstsein der Menschen steht, ein und dasselbe.
Hinter dem unvollkommenen, aber bewundernswerten Gebäude, das Kulturen und Zivilisationen für uns aufgebaut haben, bleibt die Lebenssteuerung das grundlegende Thema, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen. Und was ebenso wichtig ist: Die Motivation hinter den meisten Errungenschaften der menschlichen Kulturen und
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