Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Selbst ist der Mensch

Selbst ist der Mensch

Titel: Selbst ist der Mensch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Damasio
Vom Netzwerk:
dass die Hydranenzephalie häufig erst mehrere Monate nach der Geburt diagnostiziert wird, wenn die Eltern Gedeihstörungen feststellen und Scanaufnahmen das katastrophale Fehlen der Hirnrinde zeigen. Den Grund für diese vage Ähnlichkeit auszumachen, ist nicht allzu schwierig: Bei gesunden Kindern ist die Hirnrinde noch nicht vollständig myelinisiert, sie hat ihre Entwicklung noch vor sich. Das heißt, auch diese Kinder besitzen einen funktionsfähigen Hirnstamm, aber nur eine teilweise funktionsfähige Hirnrinde.

Näher an der Entstehung des Geistes?
     
    Aus dem zuvor Gesagten ergibt sich ein Bild, in dem die Entstehung des Geistes ein höchst selektiver Vorgang ist. Es stimmt nicht, dass das gesamte Zentralnervensystem gleichermaßen daran mitwirkt. Manche Regionen sind nicht beteiligt, andere sind beteiligt, spielen aber keine Hauptrolle, und manche übernehmen den größten Teil der Arbeit. Unter den Letzteren sind solche, die detaillierte Bilder liefern; andere steuern einfache Bilder bei, die aber von grundlegender Bedeutung sind, beispielsweise Bilder von Körpergefühlen. Alle Regionen, die an der Erzeugung des Geistes beteiligt sind, verfügen über höchst differenzierte gegenseitige Verknüpfungen, was auf eine sehr komplexe Integration von Signalen schließen lässt.
    Wenn wir Regionen, die zur Entstehung des Geistes beitragen, jenen gegenüberstellen, die das nicht tun, wissen wir noch nicht, welche Art Signale die Neuronen produzieren müssen; es sagt nichts über Frequenz oder Intensität der Neuronensignale oder über Verbindungsmuster zwischen Neuronengruppen. Wir erfahren daraus aber etwas über bestimmte Aspekte des Schaltplans, den die Neuronen benötigen, um an der Entstehung des Geistes mitwirken zu können. Bei den geisterzeugenden Stellen in der Großhirnrinde handelt es sich beispielsweise um Gruppen untereinander verflochtener Regionen, die rund um die Eintrittsstelle für den Input aus peripheren Sinnessensoren organisiert sind. Die subkortikalen Orte der Geistentstehung sind ebenfalls eng verflochtene Ansammlungen verschiedener Regionen, bei denen es sich in diesem Fall um Gehirnkerne handelt; auch sie sind rund um den Input aus einer anderen »Peripherie« organisiert, in diesem Fall aus dem Körper als solchem.
    Eine weitere Voraussetzung gilt für die Hirnrinde und die subkortikalen Kerne gleichermaßen: Zwischen den geisterzeugenden Regionen müssen umfangreiche wechselseitige Verknüpfungen bestehen, damit die Rekursivität die Oberhand behält und ein sehr komplexer Signalaustausch erreicht wird; dieses Merkmal wird im Fall der Hirnrinde durch die Verknüpfung von Cortex und Thalamus verstärkt. (Die Begriffe eintrittsinvariant und rekursiv bezeichnen eine Signalübertragung, die nicht nur in eine Richtung verläuft, sondern auch zum Ursprung zurückkehrt und eine Schleife zu jenen Neuronengruppen bildet, in denen die einzelnen Elemente der Kette beginnen.) Auch die geisterzeugenden Regionen der Hirnrinde nehmen zahlreiche Signale von verschiedenen tiefer – in Hirnstamm oder Thalamus – gelegenen Kernen auf; sie modulieren die Tätigkeit der Hirnrinde durch Neuromodulatoren (zum Beispiel Katecholamine) und Neurotransmitter (beispielsweise Glutamat).
    Schließlich muss die Signalübertragung nach einem bestimmten Zeitplan erfolgen, damit die Elemente eines Reizes, die gemeinsam an dem peripheren Sinnessensor eintreffen, während der Verarbeitung der Signale im Gehirn verbunden bleiben können. Damit Geisteszustände entstehen, müssen sich kleine Neuronenschaltkreise auf ganz bestimmte Weise verhalten. In kleinen Schaltkreisen, deren Aktivität das Vorliegen eines bestimmten Merkmals anzeigt, verstärken die Neuronen beispielsweise ihre Impulshäufigkeit. Neuronengruppen, die durch ihre Zusammenarbeit eine bestimmte Merkmalskombination anzeigen, müssen ihre Impulshäufigkeiten synchronisieren . Dies wurde erstmals von Wolf Singer und seinen Kollegen (und auch von R. Eckhorn) an Affen gezeigt: Sie wiesen nach, dass getrennte Regionen der Sehrinde, die an der Verarbeitung des gleichen Objekts beteiligt sind, eine synchronisierte Aktivität im Bereich von 40 Hertz aufweisen. 17 Bewerkstelligt wird die Synchronisation vermutlich durch Schwankungen der Neuronenaktivität. Wenn das Gehirn Wahrnehmungsbilder aufbaut, zeigen die Neuronen der verschiedenen Regionen, die zu dem Wahrgenommenen beitragen, synchronisierte Schwankungen im hochfrequenten Gamma-Bereich. Dies könnte ein Teil

Weitere Kostenlose Bücher