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Selbst ist der Mensch

Selbst ist der Mensch

Titel: Selbst ist der Mensch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Damasio
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sind Variationen komplexer Körpergefühle, die durch ein bestimmtes Objekt verursacht werden und sich darauf beziehen. Bilder der Außenwelt sind normalerweise von Bildern der Formen I und II begleitet.
    Gefühle sind eine Form von Bildern, die wegen ihrer einzigartigen Beziehung zum Körper eine Sonderstellung einnehmen (siehe Kapitel 4). Gefühle sind spontan gefühlte Bilder. Alle anderen Bilder werden gefühlt, weil sie von den besonderen Bildern, die wir Gefühle nennen, begleitet sind.
     
     
    Diese wichtigen Kerne im Hirnstamm erzeugen nicht nur einfache virtuelle Karten des Körpers; sie bringen gefühlte Körperzustände hervor. Wenn sich Schmerz oder Freude wie etwas anfühlen , haben wir das als Allererstes diesen Strukturen zu verdanken – ihnen und den motorischen Strukturen, namentlich den Kernen im periaquäduktalen Grau, über die sie unaufhörlich Rückkopplung aus dem Körper erhalten.

Die Anfänge des Geistes
     
    Um deutlich zu machen, was ich mit den Anfängen des Geistes meine, muss ich – allerdings nur kurz – drei Indizienketten erörtern. Die eine geht auf Patienten zurück, deren Rindenfelder geschädigt wurden. Eine zweite ergibt sich aus Untersuchungen an Kindern, die ohne Großhirnrinde geboren werden. Die dritte schließlich hat mit den Funktionen des Hirnstamms im Allgemeinen und der Colliculi superiores im Besonderen zu tun.

Die seltsame Situation von Kindern ohne Großhirnrinde
    Manche Kinder kommen aus verschiedenen Gründen mit einem intakten Hirnstamm zur Welt, während die Strukturen des Telencephalons (Endhirn) – Hirnrinde, Thalamus und Basalganglien – im Wesentlichen fehlen. Dieser unglückselige Zustand ist in den meisten Fällen auf einen größeren Schlaganfall des Fötus im Mutterleib zurückzuführen; er hat zur Folge, dass die Großhirnrinde vollständig oder zu großen Teilen geschädigt und wieder resorbiert wird, so dass die Schädelhöhle nur mit Hirnflüssigkeit gefüllt ist. Die Krankheit wird als Hydranenzephalie bezeichnet, im Unterschied zu Entwicklungsstörungen, die allgemein Anenzephalie genannt werden und neben der Großhirnrinde auch andere Strukturen betreffen. 10 Die betroffenen Kinder überleben unter Umständen viele Jahre, manche erreichen sogar das Erwachsenenalter, werden aber häufig als »vegetativ« verunglimpft. In der Regel leben sie in Pflegeeinrichtungen.
    In Wirklichkeit sind diese Kinder alles andere als vegetativ. Im Gegenteil: Sie sind wach und zeigen ein Verhalten. In begrenztem, aber durchaus nennenswertem Umfang können sie mit ihren Betreuern kommunizieren und mit der Welt interagieren. Sie sind offensichtlich geistbegabt auf eine Art, die man bei Patienten im vegetativen Zustand oder beim Akinetischen Mutismus, also der Stummheit infolge einer Hemmung aller Sprechfunktionen, nicht beobachtet. Ihr Unglück bietet einen seltenen Einblick in eine Form des Geistes, die auch dann noch hervorgebracht werden kann, wenn die Großhirnrinde fehlt.
    Wie sehen diese unglückseligen Kinder aus? Ihre Bewegungen sind wegen des fehlenden Muskeltonus in der Wirbelsäule und der spastischen Lähmung ihrer Gliedmaßen stark eingeschränkt. Kopf und Augen können sie aber frei bewegen, auf dem Gesicht zeigen sie Gefühlsausdrücke, sie lächeln bei Reizen, die auch ein gesundes Kind zum Lächeln veranlassen würden – beispielsweise ein Spielzeug oder ein bestimmtes Geräusch –, und wenn man sie kitzelt, können sie sogar lachen und normale Freude ausdrücken. Sie können die Stirn runzeln und sich von schmerzhaften Reizen zurückziehen. Sie bewegen sich in Richtung eines Objekts oder einer Situation, das oder die sie mögen – so krabbeln sie beispielsweise zu einer Stelle auf dem Fußboden, auf die das Sonnenlicht fällt, und wenn sich das Kind dann in die Sonne legt, ist ihm die Wärme offensichtlich angenehm. Die Kinder sehen erfreut aus: Äußerlich werden die Gefühle sichtbar, von denen man erwarten würde, dass sie sich bei der emotionalen Reaktion, die dem Reiz angemessen ist, einstellen.
    Solche Kinder können Kopf und Augen in Richtung der Person wenden, von der sie angesprochen werden, und berühren sie auch, was allerdings nicht einheitlich geschieht; außerdem zeigen sie Vorlieben für bestimmte Menschen. Sie haben häufig vor Fremden Angst und wirken am glücklichsten, wenn ihre Mutter oder die gewohnte Betreuerin in der Nähe ist. Vorlieben und Abneigungen sind zu erkennen; am auffälligsten sind sie im Zusammenhang mit

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