Selbstheilung - gesund aus eigener Kraft
in den Mund hineinpresst. Wie dieses Verbrechen weiterging, steht bereits auf dem Papier. Die Schmerzszene endet dort erst, wenn die Tochter ihre gesamte Kotze gegessen hat. Für das Umschreiben der Wirklichkeit nimmt sie sich aber genau den Moment heraus, wo ihr vom Vater der erste Löffel in den Mund geschoben wird.
Sie wagt nun für die neue Wirklichkeit, den gesamten Inhalt über den Tisch zu blasen. Dafür bekommt sie vom Vater einen Schlag auf den Kopf, aber sie reiÃt sich los, auch wenn dem Papa eine Handvoll Haare in der Hand zurückbleiben. Kreischend rutscht sie unter dem Tisch durch, rennt aus dem Zimmer, weiter aus der Wohnungstür ins Treppenhaus und schreit dort so laut sie kann, bis die Türen der Nachbarn aufgehen und sie in der ersten Tür verschwinden kann, die sie hinter sich zuschlägt. Sie bettelt die Bewohner um Schutz an. Dann hört sie, wie ihr Vater im Treppenhaus herumbrüllt, schlieÃlich bei diesen Nachbarn Sturm klingelt und schreit: âGeben Sie sofort meine Tochter heraus, sonst trete ich Ihnen die Tür ein.â Andere Nachbarn schauen wegen des Geschreis ebenfalls ins Treppenhaus. Da öffnet die Schutzpatronin der kleinen Tochter die Tür mit verriegelter Kette und ruft hinaus. âIhre Tochter bleibt bei uns, bis die Polizei kommt. Sie sind ein Unmensch!â Weiter schreibt die Klientin auf, wie sie bei der Nachbarin am Küchentisch sitzt und am ganzen Körper zittert. Sie schreibt auch: âMeine Mutter lässt sich nicht -blicken â¦â
Diese Umschreibung setzt die Klientin in der ersten Person, im Präsens und wörtlicher Rede so lange fort â und wenn noch fünf Seiten nötig sind â, bis die neue Wirklichkeit an den Punkt kommt, an dem sich ihr Vater auf Knien mit laufenden Tränen bei ihr entschuldigt. Dem ging voraus, dass sich auch die Mama endlich behauptet, indem sie der Polizei noch mehr Gewalttätigkeiten vom Papa berichtet, weshalb dieser zunächst mal für eine Zeit in Untersuchungshaft einsitzen muss.
Jede Variante einer neuen Wirklichkeit ist erlaubt. Jeder, der sich heilen möchte, ist sein eigener Autor und Regisseur für seinen eigenen Heilfilm. Ein solch präzises Drehbuch ist oft nicht an einem Tag geschrieben, bis es wirkt. Am Schluss ist aber klar, für unser Beispiel gesprochen: Ein Mädchen, das sich so kraftvoll wehrt und ihre Würde und Achtung wieder vollkommen herstellt, bekommt keine Bulimie. Ich kenne noch ganz andere Geschichten, die Bulimie ver-ursacht haben. Jede Geschichte ist einzigartig und muss auch so einzigartig von der betroffenen Person geheilt werden.
Initiierte Spontanheilung
Der neue Heilfilm kreiert in dem Moment, in dem er emo-tional erlebt wird, neue Synapsen, die an alle Zellen die entsprechenden neuen Botenstoffe senden. Dadurch ändert sich deren Verhalten schlagartig, und es erfolgt das, was ich eine initiierte Spontanheilung nenne. Alle Zellen, die bisher das bulimische Verhalten, das Krankheitsbild, produziert haben, taten dies aufgrund der bisher im Unterbewusstsein aktiv gebliebenen Informationen über erfahrene Gewalt und Entwürdigung durch den geliebten Vater.
Das umgeschriebene Schmerzbild wirkt auf die Synapsenbildung genauso, wie das real erfahrene Verbrechen es bis dato getan hat, weil das Gehirn zwischen Fakt und Fiktion nicht unterscheiden kann. Da wir aber in unserer materialistischen Epoche unter der Diktatur der Vernunft stehen, gilt die Ratio mehr als die Intuition. Dieses Denken hält das Mädchen in dem erlittenen Verbrechen gefangen, und es gibt keinen Weg, es rückwirkend aufzulösen. Selbst wenn sie ihrem Vater dieses Verbrechen verzeihen würde, es bliebe als die wahre Information in ihrem Unterbewusstsein â oder auch Wachbewusstsein â bestehen und dadurch ein wirksamer Fakt.
Wenn man sich aber primär als mentales Wesen identifiziert, hat man die Möglichkeit â wie es sich täglich in meiner Praxis beweist â, seine Wirklichkeit zu verändern. Nach der Umschreibung gibt es im Falle der zuvor essgestörten Frau kein schlechtes Gefühl zum Thema Vater und Essen mehr. Die mentale Befreiung hat stattgefunden, indem aus dem jähzornigen ein verständnisvoller, liebender Papa gemacht worden ist. Die Klientin hat das Erlebte umgeschrieben, indem sie ihre eigene und die Transformation des Vaters und weiterer beteiligter Bezugspersonen so glaubhaft und so fühlbar
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