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Semenon und die kleine Landkneipe

Semenon und die kleine Landkneipe

Titel: Semenon und die kleine Landkneipe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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auf.
      Die Gäste standen in Gruppen herum, einige in Schlafanzügen, andere im Ruderdreß oder in Flanellhosen.
      »Kater?«
      »Es geht. Du …?«
      Einige waren schon beim Fischen. Segel- und Ruderboote wurden fahrbereit gemacht.
      Der Wäschehändler trug einen gutgeschnittenen grauen Anzug und verriet auch sonst den gepflegten Herrn, der sich in seinem Äußeren nicht gehenläßt. Er bemerkte Maigret und ging auf ihn zu.
      »Gestatten Sie, daß ich mich vorstelle. Mein Name ist Feinstein. Gestern habe ich von meinem Geschäft gesprochen. Dort nenne ich mich Marcel.«
      »Haben Sie gut geschlafen?«
      »Gar nicht. Wie ich es vorausgesehen hatte, fühlte sich meine Frau nicht wohl. Immer dieselbe Geschichte … Dabei weiß sie aus Erfahrung, daß ihr Herz das nicht mitmacht.«
      Was mochte der Grund sein, daß er Maigret so fragend ansah?
      »Haben Sie sie heute morgen zufällig gesehen?«
      Er suchte die Gegend mit den Blicken ab. Endlich entdeckte er sie auf einem Segelboot zwischen einer Gruppe von Herren und Damen in Badeanzügen. Basso saß am Steuer.
      »Waren Sie noch nie in Morsang? Sie werden sehen, wie nett es ist. Sie kommen bestimmt wieder. Man ist ganz unter sich, nur Stammgäste. Spielen Sie Bridge?«
      »Soso …«
      »Es beginnt gleich eine Partie … Kennen Sie Monsieur Basso? Er ist einer der größten Kohlenhändler von Paris, ein äußerst liebenswürdiger Mann. Es ist sein Segelboot, das jetzt wendet. Madame Basso ist sehr sportbegeistert.«
      »Und wo ist James?«
      »Vermutlich trinkt er schon wieder … Wenn er den einen Rausch überstanden hat, legt er sich schon den nächsten zu. Dabei ist er noch jung und könnte etwas aus sich machen. Aber nur nicht sich anstrengen ist sein Motto. Er ist in einer englischen Bank an der Place Vendôme angestellt. Man hat ihm die besten Angebote gemacht, er hat alles abgelehnt … Er legt Wert auf seinen freien Nachmittag, und wo verbringt er ihn? In den Kneipen der Rue Royale.«
      »Wer ist der Schlanke dort?«
      »Der Sohn eines Juweliers.«
      »Und der Herr mit der Angelrute?«
      »Inhaber einer Gießerei und der eifrigste Angler von Morsang. Einige ziehen Bridge vor, andere treiben Wassersport, jeder lebt hier nach seiner Fasson, und wir alle bilden eine kleine, liebenswerte Gemeinde. Einige haben eigene Villen.«
      An der ersten Biegung des Flusses sah man das kleine weiße Haus mit dem offenen Schuppen und dem mechanischen Klavier.
      »Sind alle diese Leute Stammgäste in der Pinte?«
      »Seit zwei Jahren. James hat sie eigentlich aufgestöbert. Früher verkehrten dort hauptsächlich Arbeiter aus Corbeil, die sonntags zum Tanz kamen … James hatte die Gewohnheit, sich zu einem stillen Glas dorthin zurückzuziehen, wenn ihn die anderen mit ihrem Lärm störten … Na, und eines Tages hat ihn die Bande dort entdeckt … Man hat getanzt, und so haben die Abende angefangen, die seitdem regelmäßig stattgefunden haben. Die früheren Gäste haben sich mit der Zeit alle zurückgezogen und das Feld geräumt.«
      Aus der Küche duftete es nach gebackenem Fisch. Ein Mädchen trug ein Tablett mit verschiedenen Aperitifs.
      Aus dem Schornstein der Pinte stieg Rauch auf. Maigret sah ein Bild vor sich: das Gesicht mit dem feinen Schnurrbärtchen, den spitzen Raubtierzähnen, den bebenden Nasenflügeln …
      Er sah Jean Lenoir, der von der Pinte sprach und ruhelos hin und her lief, um seine Erregung zu verbergen.
       »Wenn wenigstens die anderen, die es verdienten, auch dabei wären …«
      Und trotz der Wärme des sonnigen Tages spürte Maigret für Sekunden ein Frösteln und sah plötzlich den feingekleideten, wohlgepflegten Wäschehändler, der eine Zigarette mit Goldmundstück rauchte. Er sah ihn mit anderen Augen, auch das Segelboot Bassos, das anlegte, und seine Insassen, die sich händeschüttelnd an Land begaben.
      »Gestatten Sie, daß ich Sie mit unseren Freunden bekannt mache?« sagte Feinstein.
      »Monsieur …«
      »Maigret, Beamter …«
      Die Vorstellung vollzog sich ganz normal, mit Verneigungen und höflichen Worten wie ›sehr erfreut‹, ›das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite‹.
      »Sie waren gestern dabei, nicht wahr? Fanden Sie nicht, daß es ganz amüsant war? Werden Sie nachmittags Bridge spielen?«
      Ein junger, magerer Mann, der auf Feinstein zugetreten war, zog ihn ein paar Schritte mit sich fort und flüsterte ihm etwas ins Ohr.

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