Semenon und die kleine Landkneipe
Angler auf der Böschung. Es wurde immer wärmer. Die Luft stand völlig still. Und doch war Unruhe in ihr.
Im Garten der Bassos, in dem die Wespen um die Blumen schwirrten, standen schon drei Autos. Der Junge sprang am Ufer umher.
»Spielen Sie mit uns?« fragte der Kohlenhändler, indem er Maigret herzhaft die Hand drückte. »Ausgezeichnet! Dann brauchen wir nicht auf James zu warten, dem es nie gelingt, flußaufwärts zu segeln.«
Alles war neu und piekfein. Man bemerkte die Hand des Innenarchitekten, ein Überfluß an Vorhängen, normannische Möbel, Bauernsteingut. Der Spieltisch stand in einem ebenerdigen Zimmer, dessen Fensterfront den Blick auf den Garten freigab. In einem beschlagenen Champagnerkübel standen Weinflaschen, auf einem Tablett Liköre. Die Dame des Hauses machte im Strandkostüm die Honneurs. Flüchtige Vorstellungen. Nicht alle Mitspielenden gehörten zur Maskerade der Nacht zuvor. Einige waren nur Sonntagsgäste.
»Monsieur …«
»Maigret!«
»Ja, Monsieur Maigret, der mit uns Bridge spielt.«
Das Ganze glich in seiner Heiterkeit und Farbenfreu
digkeit einer Operettenszene. Da war nichts, was Gedanken an den Ernst des Lebens streifte.
Der Junge war in ein weiß angestrichenes Ruderboot geklettert, worauf die Mutter ihm zurief:
»Pierrot, sieh dich vor!«
»Ich rudere James entgegen.«
»Eine Zigarre, Monsieur Maigret? Wenn Sie lieber Pfeife rauchen, finden Sie Tabak in der Büchse. Meine Frau ist es gewöhnt.«
Gerade gegenüber, auf dem anderen Seineufer, stand die kleine Landkneipe.
Der erste Teil des Nachmittags verlief ohne Zwischenfall. Maigret bemerkte jedoch, daß Basso nicht spielte und etwas nervöser wirkte als am Vormittag.
Basso war aber nicht der Typ eines Neurasthenikers. Er war groß, kräftig, und man sah ihm an, daß er das Leben bejahte. Ein etwas brutaler Genießer gröberer Sorte.
Feinstein gab sich der Partie mit dem Ernst eines leidenschaftlichen Bridgespielers hin. Maigret dagegen mußte einige Ordnungsrufe über sich ergehen lassen.
Gegen drei erschien die Gesellschaft von Morsang. Erst belagerte sie den Garten, dann das Spielzimmer. Einer setzte das Grammophon in Gang. Madame Basso kredenzte Mousseux, und bald darauf tanzten einige Paare um die Bridgespieler.
In diesem Augenblick fuhr Feinstein, der anscheinend ganz ins Spiel versunken war, auf und fragte:
»Wohin ist denn Freund Basso plötzlich verschwunden?«
Einer antwortete:
»Ich glaube, er ist an Bord gegangen.«
Maigret, der dem Blick des Wäschehändlers folgte, sah ein Boot, das eben am anderen Ufer bei der Kneipe anlegte. Monsieur Basso stieg aus, wandte sich dem Lokal zu, kam aber bald zurück. Er machte einen unruhigen Eindruck, so daß man ihm die zur Schau getragene gute Laune nicht recht glauben wollte.
Ein anderer Zwischenfall blieb unbeachtet: Feinstein gewann. Seine Frau tanzte mit dem soeben heimgekehrten Basso. Und James, ein Glas in der Hand, warf die scherzhafte Bemerkung hin:
»Manche sind nicht imstande zu verlieren, selbst wenn sie wollten.«
Feinstein reagierte nicht. Er gab die Karten, und Maigret sah, daß seine Hände vollkommen ruhig waren.
So vergingen zwei Stunden. Die Tanzenden schienen müde zu werden. Einige der Gäste waren baden gegangen. James hatte verloren. Er brummte, als er aufstand:
»Tapetenwechsel! Wer geht mit in die Pinte?«
Im Vorbeigehen schnappte er sich Maigret.
»Komm mit!«
Er hatte den Grad von Trunkenheit erreicht, den er nie überschritt, auch wenn er weitertrank. Die anderen erhoben sich ebenfalls. Ein junger Mann rief, die Hand wie einen Schalltrichter vor dem Mund:
»Abmarsch in die Pinte!«
James half dem Kommissar in sein sechs Meter langes Segelboot, stieß ab und setzte sich ans Steuer.
Doch es war windstill. Das Segel hing schlaff herab.
Das Boot ließ sich kaum gegen die keineswegs starke Strömung führen.
»Es geht langsam, aber wir haben ja Zeit«, bemerkte James.
Maigret sah Basso und Feinstein im selben Motorboot, das die Überfahrt in wenigen Augenblicken machte. Vor der Pinte gingen sie an Land.
Andere Fahrzeuge folgten James’ Boot, das jedoch immer weiter zurückfiel. Aber der Engländer dachte nicht daran, sich der Ruder zu bedienen.
»Seltsame Leute!« sprach James plötzlich leise vor sich hin, als hätte er über etwas nachgedacht.
»Wer?«
»Alle! Sie
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