Semmlers Deal
entschuldigen, man hatte ihn natürlich eingeladen, aber nicht erwartet, dass er daran teilnehmen werde, Semmler war in der öffentlichen Wahrnehmung ein vielbeschäftigter Mann.
In Wahrheit tat er sehr wenig. Als der junge Opholzer im Namen aller Anteilseigner die Einladung zum Mittagessen ausgesprochen hatte, brauchte er keinen anderen Termin vorzuschützen, es reichte, bedauernd die Arme zu heben, das wurde schon verstanden. Die Fassade war intakt.
Semmler hatte keinen Termin. Die Verwaltung des Semmlerschen Vermögens nahm nicht einen Bruchteil der Zeit in Anspruch, die es nach seiner tiefinneren Überzeugung hätte in Anspruch nehmen sollen. Wenn das Warten auf die Kontoauszüge gutgeschriebener Zinsen und Dividenden eine Tätigkeit genannt werden konnte, dann war er tätig. Sonst nicht. Er hatte sein Vermögen genau so investiert, wieer es dem armen Koslowski geraten hatte: in solide Werte. Für etwas anderes hatte er nicht die Nerven, man konnte auch sagen: Dazu war er zu feige. Semmler wusste das und litt darunter.
Vielleicht ergab sich ja nun eine Änderung durch den Anruf von Christoph Wurtz. Er kannte ihn aus dem Kunstverein, um dessen neuen Obmann es im Telefonat gegangen war. In Wahrheit interessierte sich weder Semmler noch Wurtz für den Obmann, nicht für den alten und schon gar nicht für den neuen. Sie interessierten sich nicht einmal besonders für Kunst. Der Verein bot nur die ideale Möglichkeit gesellschaftlicher Kontakte. Der Anruf bedeutet daher nicht, dass Wurtz die wieder auf der Kippe stehende Obmannwahl mit Semmler besprechen wollte, sondern etwas ganz anderes, wofür weder das Telefon noch ein offizieller Treffpunkt geeignet war. Sie würden sich im Café Moosmann in Altach treffen, wo keine Gefahr bestand, von irgendjemandem aus ihrem Bekanntenkreis gesehen zu werden. Und nicht um zwei, wie ein etwaiger Telefonabhörer glauben sollte, sondern eineinhalb Stunden früher. Beide waren überzeugt, dass abgehört wurde; ein paar merkwürdige Transaktionen in der Vergangenheit ließen sich anders schwer erklären.
Bis halb eins war noch Zeit, Semmler fuhr nach Hause und ließ den Wagen auf dem kleinen Vorplatz außerhalb des Tores stehen. Über die Sprechanlage sagte er Bellmeyer, er müsse »noch weg mit dem anderen Wagen«. Dadurch wusste Bellmeyer, dass der Hausherr den Jaguar stehen lassen und den sieben Jahre alten Toyota Carina nehmen würde. Der stand immer in der Garage, nie vor dem Haus.
Semmler machte sich in der Bibliothek Kaffee und beobachtete Bellmeyer, der mit einem Rechen und einer Säge in den Park ging, um dort weiß Gott was für gärtnerische Arbeiten durchzuführen; Semmler hatte von dieser Seite seines Besitzes keine Ahnung und war froh darüber. Wenn er je begann, sich für Heckenschneiden und Pflanzzeiten zu interessieren, würde er sich auf dem stets abwärts führenden Pfad ins Reich der gärtnernden Grundbesitzer befinden, Idealverkörperung des Provinzspießers. Dann würde es aus sein mit allen höheren Ambitionen. Dann würde er sogar heiraten.
Er ging schnell aus dem Haus, bestieg den hellgrauen Carina und fuhr nach Altach.
Alles an Christoph Wurtz war blass. Die Augen blassblau, das dünne Haar hätte man »blassblond« nennen müssen, falls es so eine Tönung gab, die Haut blass-teigig. Wurtz sah aus wie einer, der nicht viel an die frische Luft kommt, was umso merkwürdiger war, als er mehreren Outdoor-Sportarten nachging; mit einem Eifer, den die Gesellschaft seiner Frau Hilde zuschrieb. Sie zwinge ihn zu all diesen Tätigkeiten, hieß es, er sei aber davon nicht begeistert, all das Mountainbiken und Segeln sehe man ihm auch nicht an ... in Wahrheit lag das schlechte Aussehen des Dr. Wurtz an der vielen Arbeit, die er sich als Hausjurist der SILIV AG aufgebürdet hatte. Wurtz stammte aus kleinen Verhältnissen und war in verschiedenen Firmen immer höher steigend schließlich bei der SILIV AG in einer erstaunlichen Position der Geschäftsführung gelandet. Er war der Finanzchef des Unternehmens, das pharmazeutische Produkte herstellte; allerdings ein oder zwei Klassen höher als die Klitsche, bei der Koslowski untergekommen war. Koslowski fiel Semmlernun wieder ein, er wusste nicht, warum, als er Wurtz gegenüber Platz nahm. Weil beide von unten kamen, dachte er, und beide mit Medikamenten zu tun hatten, der eine ohne Erfolg, der andere mit.
»Wie geht’s?«, fragte er.
»Schlecht«, sagte Wurtz.
Er sah auch blasser aus als sonst. Für Semmler war
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