Semmlers Deal
Fenster. – Mit deiner Hilfe natürlich. Dreißig Prozent. Zufrieden?«
»Weiß Hilde ...«
»Natürlich. Es ist auch Geld von ihr dabei.« Wurtz schob ein schmales Buch über den Tisch. Es war Semmler bis jetzt nicht aufgefallen. »Das japanische Fährtenbuch« von Wolfgang Hermann. »Solltest du lesen«, sagte Wurtz, »bringt einen auf andere Gedanken.«
Semmler schlug das schmale Buch auf. Nach dem Vorsatzblatt lag eine Fünfhunderternote drin. Nach der ersten Textseite wieder. Und auch nach der zweiten.
»Danke«, sagte Semmler. »Du leihst es mir?« Das ganze Buch war voller Banknoten. Semmler begann zu lachen. Er steckte das »Japanische Fährtenbuch« ein.
»Du ... du schaust es nicht durch?«
»Daheim. Da hab ich mehr Ruhe.«
Wurtz lächelte, schien sich zu entspannen. Er sollte sich scheiden lassen, dachte Semmler, die Frau bringt ihn um; die verschrobene Art der Geldübergabe, das kam doch von ihr, genau wie die Idee, alles auf eine Karte zu setzen. Hysterie. Und die glühende Furcht, mit einem Schlag könnte alles vorbei sein und Papa Recht behalten haben. Christoph Wurtz, der Versager.
Die Toasts wurden serviert, auch Wurtz aß den seinen. Jetzt, da die Sache eingefädelt war, ging es ihm besser. Alles Weitere würde Semmler machen. Gegen dreißig Prozent Provision.
An diesem schweigsamen und so gewöhnlichen Essen lag es, dachte Semmler später, dass alles nur so kommen konnte, wie es dann gekommen ist. Das hatte ihm Zeit zum Nachdenken gelassen, das Schinken-Käse-Toast-Essen. Was hätten sie dabei auch reden sollen? Über das Geschäft war alles gesagt, und der Toast gab nichts her. Wurtz redete sowieso nie viel, darin lag nun der Fehler, denn auch das banalsteGeschwätz hätte Semmler davon abgehalten, über die Situation nachzudenken, darüber, was sie hier machten, an diesem Ort, wer sie beide waren und so weiter. Das war nicht gut, er wusste es, konnte seine eigenen Gedanken aber nicht unterdrücken. Wie eine Maschine ging es in seinem Kopf, ein Gedanke brachte den anderen hervor, und jeder war eine Nuance dunkler als der vorige.
Mit dem Toast fing es an. Der war gut, keine Frage, das war aber nicht das Problem. Sondern, dass er sich darauf gefreut hatte. Wie ein Student, der sich etwas Gutes tut, weil ein besonderer Tag ist, das Stipendium überwiesen, eine Zwischenprüfung bestanden – weil so ein Tag ist, leistet er sich was: einen Schinken-Käse-Toast in einem Kaffeehaus. Statt Mensafraß. Und Wurtz hatte sich auch gefreut, er müsste ihn nur fragen, arglos würde der es zugeben. Zwei Studenten. Herrgott! Sie hatten hundert Mal mehr Geld zur Verfügung als damals, aber den Studenten in sich immer noch nicht abgetötet – darum gingen sie in dieses triste Provinzcafé und aßen Toast. Toast! Warum nicht – aber dann nicht mit wässrigem Schinken und holländischem Industriekäse, sondern mit Beluga und einer Flasche Chablis. Und in – sagen wir ... er musste fast eine halbe Minute nachdenken, bis ihm ein geeigneter Ort einfiel: Locarno. Warum machten sie so ein Megageschäft nicht in Locarno aus? Oder wenigstens in Zürich? In einer Stunde könnten sie dort sein. In einem Ambiente, das dem Anlass ein bisschen angemessener war als das Café Moosmann. In Altach.
Aber, dachte er weiter, Locarno, Zürich, Belugakaviar, Chablis – das fällt uns gar nicht ein. Und warum ist das so? Weil diese Worte Klasse haben, schon die Worte. Und wir haben keine. Wurtz nicht und ich auch nicht. Weil wir imGrunde noch dieselben Bauerntrampel sind wie unsere Vorfahren. Dumpf und stumpf. Ohne Großmut, aber mit viel Angst. Nicht intelligent. Nur schlau, in einem bestimmten Sinne schlau. Für Bescheißereien wie diesen Derivate-Deal mit den Puts, unsere Form des Rosstäuschens. Ohne Eleganz, ohne Inspiration. Es ist nicht einmal ein Trick dabei wie beim Hütchenspiel, es gehört keine Fingerfertigkeit dazu und überhaupt keine Fertigkeit gleich welcher Art. Man weiß nur etwas, was alle anderen nicht wissen, und nützt es aus. Auf die Art betrügen kann jeder Idiot.
Und weil dies alles so war, ging es auch mit dem Land immer weiter abwärts. Die guten Leute blieben weg. Daheim sammelte sich das Mittelmaß. Das merkte keiner, darum war es ja Mittelmaß. Die SILIV AG war die einzige große Firma von überregionaler Bedeutung – gewesen; dass sie nun zugrunde gehen sollte, bedrückte ihn jetzt mehr als am Anfang des Gesprächs.
Sie zahlten und verabschiedeten sich. Es wäre besser gewesen, wenn Wurtz
Weitere Kostenlose Bücher