Sengende Nähe - Singh, N: Sengende Nähe
anderes als einer, der mit seinen Entführern kooperierte. „Netter Zug.“
Zum ersten Mal ließ er die zivilisierte Maske fallen. „Verletzte Gefühle heilen. Aber Tote werden nicht wieder lebendig.“
Mercy ging nicht darauf ein. „Wir werden hier warten, bis meine Leute im Hotel sind.“
Was sie auch taten. Schweigend. Sie spürte Rileys Energie auf ihrer Haut, aber er kam nicht herein.
Fünfzehn Minuten später hörten sie draußen Geräusche, jemand rief: „Wir haben Nash!“ Dann war es kurz still. „Und er will Blut sehen.“
Mercy sah Bowen in die Augen, war immer noch auf der Hut. „Sie werden mir doch keine Schwierigkeiten machen?“
„Ich habe Ihnen den Jungen zurückgegeben, oder nicht?“
„Stimmt. Deshalb werde ich Sie auch nicht auf der Stelle umbringen.“ Sie war nicht so feindselig eingestellt wie Riley, aber sie mochte es nicht, wenn jemand sich seine Opfer unter den Schwachen suchte. Nash und Willow standen unter dem Schutz der Leoparden – sie gehörten ebenso zu ihnen wie die Jungen von Tammy. „Ein paar Ritzer mit den Krallen an den richtigen Stellen, und Ihr Skalp ist ab.“
Die Zeit stand still.
Weit weg von dieser verfahrenen Situation in dem verlassenen Gebäude fuhr ein schlanker Mann in seinem Wagen in das San-Gabriel-Gebirge. Sein Gesicht war schweißüberströmt, seine Hände hielten das Lenkrad so fest umklammert, dass die Fingerknöchel weiß hervortraten. Hier oben gab es keine befestigten Straßen, keine Möglichkeit, das kleine Stadtauto auf automatische Steuerung zu stellen. Aber selbst dann hätte er es nicht getan.
Er musste sich konzentrieren, durfte sein Ziel nicht aus den Augen verlieren.
Er sah nur Steine und Geröll, einen sich endlos nach oben windenden Weg.
Nimm das Gewehr aus dem Kofferraum. Fahr zum Künstlerhof am Rande der Mojave-Wüste. Töte so viele du kannst, bis die Munition zu Ende geht. Hebe eine Kugel für dich selbst auf.
Der Wagen fuhr durch ein Schlagloch, die Karosserie erzitterte, und der Mann spürte die Stöße im Kopf, die Gedanken wurden durcheinandergeschüttelt. Er blieb nicht stecken, aber ein Reifen war platt. Der Mann stellte auf Hooverantrieb um und fuhr weiter. Er durfte nicht stehen bleiben. Denn dann würde das Gewehr in seine Hände gelangen. Männer, Frauen und Kinder würden sterben.
Die zwanghaften Gedanken drohten seinen Schädel zu sprengen, er sah schwarze Punkte – Adern platzten, in seinem Gehirn blutete es an mehreren Stellen. Er konnte nicht mehr weiterfahren und hielt am Straßenrand. Dann stieg er aus – ganz automatisch fiel sein Blick auf den Kofferraum. Nein. Mit letzter Willensanstrengung wandte er sich ab. Die Klippe war nahe genug. Er legte die Hände an den Kopf und zwang sich dazu, einen Fuß vor den anderen zu setzen.
Er musste es nur bis zum Rand des Abgrundes schaffen. Das Gewehr war zu gefährlich. Und der Aufprall würde seinen Schädel ebenso zerschmettern.
Eine Stunde nachdem sie Nash gefunden hatten, fuhr Mercy mit Indigo und einem immer noch lebenden und unverletzten Bowen aus der Stadt hinaus. Er trug Handschellen, und seine Augen waren verbunden. Dorian war gekommen und hatte mit seinen Spielzeugen nach Ortungsgeräten gesucht – er hatte zwei gefunden und beseitigt.
Bowen hatte nur mit den Schultern gezuckt. „Es wäre dumm gewesen, wenn ich ohne Absicherung hier erschienen wäre.“
Mercy nahm an, dass sein Team ihnen folgen würde, und drehte eine Runde durch kleine Nebenstraßen, in denen jeder Verfolger dem Geländewagen auffallen würde, der hinter ihnen fuhr. Als sie schließlich umdrehten und sich auf den Weg in einen abgelegenen Teil des Golden-Gate-Nationalparks auf der anderen Seite der Brücke machten, war Bowen ganz auf sich allein gestellt.
Am Ziel angekommen, nahmen sie ihm die Augenbinde ab, und er hielt ihnen die gefesselten Hände hin. „Ich denke, Sie können es auch mit mir aufnehmen, wenn ich die Hände frei habe.“
Mercy schob sich vor Riley, als dieser aus dem Geländewagen stieg und herüberkam. „Treiben Sie es nicht zu weit“, sagte sie zu Bowen. Der Mann war zwar ein harter Hund, aber Riley war ein mit allen Wassern gewaschener, wütender Wolf.
Schwarze Augen sahen erst Riley an, dann wieder sie. „Hier geht etwas vor, von dem ich offensichtlich keine Ahnung habe.“
„Die letzte Entführung unserer Leute endete mit einer Toten und einer so schwer Gefolterten, dass niemand glaubte, sie würde sich jemals wieder davon erholen“, sagte Mercy,
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