Sengende Nähe - Singh, N: Sengende Nähe
seine Chancen?“
Reflexartig schaute Laniea noch einmal auf das elektronische Krankenblatt, das sie höchstwahrscheinlich bereits in- und auswendig kannte. „Sie sind gering, aber vorhanden. Wir konnten in seinen Kopf hinein und die letzten Reste der Zwangsvorstellung beseitigen, sodass der Druck verringert wurde.“
„Aber?“
„Aber es ist viel Gewebe zerstört worden. Wie viel genau, wissen wir erst, wenn er wieder aufwacht … falls er jemals wieder aufwacht.“
Anthony wusste, dass Samuel Rain ein brillanter Ingenieur im Bereich der Robotertechnik gewesen war. Was würde es für ihn bedeuten, wenn er nach dem Erwachen feststellte, dass er niemals wieder in der Lage sein würde, in diesem Bereich kreativ tätig zu sein? „Die Handschrift dessen, der ihm den Zwang auferlegt hat, war nicht mehr festzustellen. Haben Sie sonst noch etwas gefunden?“
Laniea schüttelte den Kopf. „Es muss ein sehr versierter Telepath gewesen sein – alle Hinweise auf ihn wurden als Allererstes zerstört.“
„Schicken Sie mir die Details. Vielleicht habe ich bei der ersten Überprüfung etwas übersehen.“
In weniger als einer Sekunde war die telepathische Übermittlung abgeschlossen. Laniea hängte das Krankenblatt an das Bettende und schüttelte den Kopf. „Eine Sache habe ich nicht bedacht, als ich seine Chancen berechnete, vielleicht sollten wir das doch in die Überlegungen einbeziehen.“
Anthony wartete gespannt.
„Seinen Willen.“ Die M-Mediale schüttelte wieder den Kopf. „Er hätte gar nicht dazu in der Lage sein dürfen, sich gegen die Fremdzwänge zu wehren, und doch hat er es getan. Vielleicht wehrt er sich genauso stark gegen den Tod.“
Diese Diagnose war gefährlich nahe daran, eigene Gefühle preiszugeben. Aber Laniea wusste, dass Anthony sie niemals verraten würde.
„Vielleicht“, sagte er, „haben wir mehr als nur unsere Gefühle verloren, als wir uns Silentium in die Arme warfen. Vielleicht haben wir gerade den Teil geopfert, der für unser Recht auf Leben kämpft.“
„Dieser Teil scheint sich gerade wieder bemerkbar zu machen“, sagte Laniea, „allerdings äußerst gewalttätig.“
„Bei Samuel Rain war das nicht der Fall.“ Die Weigerung des jungen Mannes war für Anthony ein Hoffnungsstrahl gewesen. „Bei ihm hat sich dieser Teil gegen die Gewalt entschieden.“ Seine Tochter Faith würde sich freuen, das zu hören. Sie sah viel zu viel Dunkelheit, ihre Gabe brachte sie viel zu nahe an den Abgrund.
Aber trotz allem wurde sie immer stärker. Für einen Ratsherrn war es gefährlich, so etwas wie Stolz zu empfinden, überhaupt irgendetwas zu empfinden, aber ganz tief in seinem Geist, hinter Tausenden von Schilden, war Anthony sehr stolz auf die Frau, zu der seine Tochter sich entwickelt hatte. Er nickte Laniea zu und verließ den Raum, um Faith über Samuels Zustand in Kenntnis zu setzen.
23
Am nächsten Tag erwachte Mercy und spürte die Krallen ihrer Raubkatze. In ihr wütete ein so schmerzhaftes Verlangen, dass sie nicht mehr länger liegen bleiben konnte. Am meisten beunruhigte sie, dass es nicht nur sexuelle Begierde war. Sie vermisste Riley. „Ach verdammt.“
Sie hätte ihr Bedürfnis am liebsten in Arbeit umgesetzt, aber Lucas hatte ihr eine Auszeit verordnet, weil sie in den letzten Monaten „eine lächerliche Anzahl Überstunden“ angehäuft hatte. Seine Wächter müssten voll funktionstüchtig sein, wenn der Sturm losbrach, hatte er gesagt, und sogar ihre Überwachungsschicht gestrichen – was hieß, dass sie den ganzen Tag frei hatte.
Und sich elend fühlte.
Mercy hoffte, eine kalte Dusche würde ihr helfen, und schleppte sich ins Bad. Als sie herauskam, blinkte der Nachrichtenknopf auf der Kommunikationskonsole. Sie erkannte die Nummer sofort und rief zurück. „Was wolltest du, Ashaya?“
Ashaya riss die blaugrauen Augen überrascht auf. „Das ging ja schnell.“
„Lucas hat mir befohlen, einen Tag freizunehmen. Der hat vielleicht Nerven.“
Ashaya lächelte – lächeln war immer noch etwas Neues für sie, kam aber offensichtlich von Herzen. „Ich wollte dich um einen Gefallen bitten, doch eigentlich solltest du dich an deinem freien Tag lieber amüsieren.“
„Ich werde noch irre“, nörgelte Mercy und rieb sich die linke Brust. „Bitte gib mir etwas zu tun.“
Ashaya sah jetzt besorgt aus. „Mercy? Was ist denn los?“
„Meine Hormone bringen mich noch um den Verstand.“ O Gott, sie würde Riley ordentlich beißen, weil er ihr das
Weitere Kostenlose Bücher