Sensation in der Manege
jetzt zugeht?“
„Ja, Mutsch, ist ja gut, entschuldige!“ sagte Bille gereizt. „Nun reg dich nicht auf. Ich mach ja alles noch, keine Sorge!“
„Fragt sich nur, wann.“
„Wenn ich Zeit habe!“ antwortete Bille weinerlich. „Bis jetzt hatte ich wirklich noch keine Gelegenheit!“
„Andere Töchter berufstätiger Mütter machen neben der Schule noch den halben Haushalt!“
„Die reiten auch nicht.“
„Es ist alles eine Frage der richtigen Zeiteinteilung!“ Mutsch legte mit ruckartigen Bewegungen ein paar Frottiertücher zusammen, um sie dabei in die richtige Form zu ziehen. „Ich habe immer zwei bis drei Berufe gehabt. Das Geschäft, den Haushalt, den Garten, euch Kinder. Wenn ich nur an die Buchhaltung denke, die ich oft noch bis in die Nacht hinein habe machen müssen! Aber ich bin immer mit allem fertig geworden. Man muß nur im voraus richtig planen, dann kommt man am Ende auch nicht ins Gedränge. Immer alles auf die letzte Minute, das ist doch nichts, Kind, das weißt du doch selber“, fügte sie begütigend hinzu.
„Klar weiß ich das! Nur läßt es sich im Moment leider nicht ändern. Die Schule, die Pferde, dann die vielen Proben für den Elternbesuchstag, das Herstellen der Requisiten. Sag mir bitte, wie ich mich da zwischendurch hinsetzen und Geschenke basteln soll oder Plätzchen backen!“
„ Hättst dir eben im November schon Gedanken machen sollen darüber. Du wußtest doch, daß ihr vor Weihnachten etwas proben würdet für den Elternbesuchstag. Und daß es da auch sonst immer besonders viel Arbeit gibt.“
„Ach, Mutsch, jetzt hör schon auf! Ich bin todmüde.“ Aber wenn die Mutter einmal in Fahrt war, dann ließ sie sich nicht so leicht bremsen, dann wollte sie auch alles loswerden, was sich bei ihr aufgestaut hatte. Wann sah sie denn ihre Tochter schon mal? Am Abend eine Stunde beim Abendessen, wenn überhaupt. Danach hockte sie in ihrem Zimmer über ihren Schulbüchern, um das nachzuholen, was sie über dem Reiten versäumt hatte. Die Turnierpreise, die Erfolge, die lobenden Zeitungsartikel, waren die ein Trost dafür, daß man sich nicht mehr sah? Denn am Wochenende war Bille nur noch bei den Pferden, daran hatten sie sich gewöhnen müssen. Oder sie war mit Simon zusammen — was so ziemlich das gleiche war.
„Es gefällt mir einfach nicht, wie du dein Leben nur noch für die Pferde opferst. Die Familie bleibt dabei auf der Strecke!“ murrte sie. „Und für andere Interessen hast du schon lange keine Zeit mehr. Wenn ich da an deine früheren Schulkameradinnen denke! Heike spielt zwei Instrumente und ist beim Laientheater dabei. Helga ist im Schwimmclub, spielt im Sportverein Tischtennis und singt im Kirchenchor. Und Evi malt und töpfert und ist Mitglied des Jugendorchesters. Wann hast du denn zuletzt ein gutes Buch gelesen, oder warst auch nur mal mit zum Tanzen? Die anderen haben immer wieder angefragt, ob du nicht Lust hättest, mal...“
Bille ging einfach aus dem Zimmer. Sie wollte Mutsch nicht weh tun , aber sie spürte genau — noch eine Minute länger und sie hätte losgebrüllt, und es hätte einen Riesenkrach gegeben.
Denn daß Mutsch im Grunde genommen recht hatte, wußte sie ganz genau. Das machte es ja gerade so schlimm. Wenn sie abends todmüde ins Bett sank, fragte sie sich oft, ob sie jemals wieder Zeit finden würde, ein Buch zu lesen, ins Kino zu gehen oder ins Theater. Sie schwamm für ihr Leben gern und fand Tischtennis herrlich. Aber wenn sie im Internat jemand zu einer Partie einlud, lehnte sie bedauernd ab, weil sie Pferde bewegen mußte oder im Stall zu tun hatte.
Kam sie abends nach Hause, dann mußte sie für die Schule arbeiten oder ihre Reitstiefel putzen, ihre Sachen in Ordnung bringen, etwas nähen oder bügeln. Danach schaffte sie es gerade noch, in die Badewanne zu steigen oder sich die Haare zu waschen, dann sank sie wie ohnmächtig ins Bett.
Einmal hatte sie mit Bettina darüber gesprochen.
„Du bist doch selber schuld daran, wenn du so abgehetzt bist“, hatte Bettina gesagt. „Dein Unglück ist ganz einfach, daß du nicht nein sagen kannst! Kommt jemand mit einer Bitte zu dir, sagst du ,klar , okay, mach ich!’, noch ehe der andere ausgesprochen hat. Du denkst überhaupt nicht darüber nach, ob diese Bitte nicht vielleicht eine Zumutung ist, die du mit gutem Gewissen ablehnen kannst! Aber ich glaube, du willst es auch gar nicht. Kein Mensch verlangt von dir, daß du so viel im Stall und mit den Pferden arbeitest, du
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