Sensenmann
Jetzt war alles Folgende ein Kinderspiel.
5
»Hier ist Lara Birkenfeld. Von der Tagespresse , genau. Ich hätte ein paar Fragen zu dem Toten im Plattenbaublock.« Lara lauschte einen Moment und betrachtete dabei die Mutter mit den zwei kleinen Jungen an der Eisbude gegenüber. Der Eismann drückte jeweils zwei Kugeln in die Tüten und reichte sie über die Theke. An ihrem Ohr hörte sie Kriminalobermeister Schädlich schnaufen. Wahrscheinlich dachte er darüber nach, wie er sich unverfänglich aus der Affäre ziehen konnte. Sie setzte hinzu: »Das kam heute Vormittag über den Ticker.«
»Das stimmt.« Kriminalobermeister Schädlich war wortkarg. Kein Wunder bei dem Theater, das sein Vorgesetzter letztes Jahr veranstaltet hatte. Angeblich hatte sein Untergebener vertrauliche Informationen an die Zeitung und insbesondere an sie herausgegeben. Lara verzog das Gesicht. Und das alles, weil Kriminalkommissar Stiller sie nicht leiden konnte.
»Ich kann aus ermittlungstaktischen Gründen nichts dazu sagen, Sie verstehen?«
Die Standardantwort. Jetzt seufzte Lara, sodass er es hören konnte. Die Sonne hatte inzwischen die Eingangstür zum Zeitungsgebäude erreicht. Es musste schon mindestens sechzehn Uhr sein.
»Rufen Sie unsere Pressestelle an.« Schädlich klang bekümmert.
»Ich dachte, der direkte Weg wäre günstiger…« Sie ließ das Satzende in der Luft hängen. Manchmal fühlten sich die Gesprächspartner dadurch zum Reden animiert. Schädlich gehörte nicht dazu. Die Stille dehnte sich aus wie ein schwarzes Loch.
»Na gut. Es war ein Versuch.« Sie ließ es fröhlich klingen, um dem Beamten kein schlechtes Gewissen zu verursachen. Er sollte
sich nicht unwohl fühlen. Sie brauchte seine Hilfe bestimmt noch.
»Tut mir leid, Frau Birkenfeld, wirklich. Aber ich kann definitiv nicht. Nicht am Telefon.«
»Ich verstehe das.« Noch während sie sprach, dachte Lara darüber nach, ob der Nachsatz etwas zu bedeuten hatte. Schädlichs bulliges Gesicht tauchte vor ihrem inneren Auge auf. Wollte der Beamte ihr zwischen den Zeilen mitteilen, dass er zu Aussagen bereit wäre, wenn sie sich persönlich begegneten? Sie beschloss, alles auf eine Karte zu setzen. »Haben Sie Lust, sich mit mir auf einen Kaffee zu treffen?«
Es dauerte mindestens zehn Sekunden, dann antwortete der Kriminalobermeister mit einer Frage. »Wo denn?«
Lara grinste. Ihr Arm wollte einen »Strike« vollführen, aber sie verbot es ihm. »Wie wäre es mit dem Lindencafé ?«
»Aber heute wird das nichts mehr, ich habe bis achtzehn Uhr Dienst.«
»Morgen?« Lara wollte keine Zeit verschwenden. Mochte sein, dass ihr Kollege Tom sich bei der Tatortrecherche vorgedrängt hatte, aber die Berichterstattung über Kriminalfälle war immer noch ihr Ressort. Und so einfach ließ sie sich die Butter nicht vom Brot nehmen.
»Das ginge.« Schädlich klang unschlüssig.
»Dann treffen wir uns morgen Nachmittag im Lindencafé . Gegen sechzehn Uhr?«
»Lieber um fünf.«
»Fein. Ich freu mich.« Lara wartete noch einen Moment, aber der Beamte hatte schon aufgelegt.
Sie schob ihr Handy in die Hosentasche. Die Sonne war in der Zwischenzeit bis zu ihren Knien gewandert. Es wurde Zeit, dass sie wieder nach oben ging. In der Redaktion würde jetzt auch Ruhe einkehren. Wenn sie noch ein wenig dablieb, erwischte sie Tom vielleicht noch, wenn er von seiner Tour zurückkam.
Die Tachonadel bewegte sich auf die siebzig zu und Tom bremste. Es fehlte noch, dass er geblitzt wurde. Sein Punkteregister in Flensburg war schon groß genug.
Dieses verlotterte Plattenbauviertel hatte ihn depressiv gemacht. Depressiv und wütend. Die überall gleich aussehenden Betonklötze widerten ihn an. Das war doch keine Architektur!
Zuerst hatte er schnell die Eröffnung des Mehrgenerationenhauses abgehakt, Alltagsarbeit. Das Konzept war eine nützliche Sache, aber es riss einen Journalisten nicht vom Hocker. Er hatte Meinungen eingeholt, Fotos gemacht und ein paar Details auf sein Diktiergerät gesprochen; in Gedanken war er jedoch schon bei seinem Treffen mit Kriminalkommissar Stiller gewesen. Stiller mochte ihn. Tom hatte sich vorgenommen, ihn so lange zu löchern, bis er mit Details zu der Leiche im Abbruchblock herausrückte.
Links vor ihm ratterte die Straßenbahn in Richtung Innenstadt. Tom scherte auf die linke Spur aus und überholte einen Škoda.
Grünau war immer staubig. Schien die Sommersonne auf den Beton, wirkte das Wohngebiet noch schmutziger. Irgendwann würde
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